Ein Mann fur alle Lagen

6. KAPITEL


„Ich warne Sie“, sagte Kate zu Brad. „Lassen Sie mich los, oder Sie werden es ewig bereuen.“

„Ich mag Frauen, die sich sträuben.“ Brad zog sie an sich.

„Wie läuft’s, Brad?“ Ben lächelte ihn an, und Jake stand hinter ihm.

„Die hab ich zuerst gesehen.“ Brad schob Kate hinter sich und baute sich auf wie ein Karatekämpfer.

„Du hast zu viel ferngesehen“, stellte Jake fest und trat einen Schritt auf ihn zu.

Kate spürte, wie Brad sich anspannte. „So ein Mist“, sagte sie gepresst, griff nach einer großen Bierflasche und zertrümmerte sie auf Brads Schädel. Er drehte sich zu Kate um, starrte sie an und brach zusammen. Jake konnte ihn gerade noch auffangen.

„Das musste wohl sein, oder?“ fragte er Kate.

„Er wollte Ihnen wehtun“, erwiderte sie nur. „Ich habe Sie gerettet, undankbarer Kerl.“

„Wo ist die Blondine?“ fragte Brad verwirrt.

„Die passt nicht zu dir.“ Jake half ihm auf einen Stuhl. „Diese zähen Blondinen schlagen dir eine Flasche über den Kopf, sobald sie dich von hinten sehen.“

„Wirklich komisch“, beschwerte Kate sich.

Jake sah zu ihr auf. „Ist Ihnen aufgefallen, dass ich Ihnen nie den Rücken zuwende?“

„Du kannst hier jederzeit anfangen, Lady“, bot Nancy ihr an. „Ich bin schwer beeindruckt.“

„Vielleicht komme ich darauf zurück“, sagte Kate. „Es gefällt mir hier riesig, abgesehen von den Betrunkenen und den Schlägertypen.“

„Ich bin kein Schläger, du etwa, Ben?“ beschwerte Jake sich.

„Auf keinen Fall. Ich spiele lieber Billard. Kommst du mit, Jake?“

„Gleich.“ Jake setzte sich an die Bar. „Ein Bier, bitte. Und eins für die Dame mit der zerbrochenen Flasche in der Hand.“

„Vielen Dank.“ Kate setzte sich neben ihn und legte den Flaschenhals auf den Tresen.

„Als Dank für die Rettung vor Brad“, erklärte Jake. „Aber vielleicht sollten Sie statt Bier lieber Saft trinken?“

„Ein Bier, bitte.“ Kate ließ den Rest ihres Weines stehen, und Nancy fegte rasch die Scherben weg.

„Brad ist eigentlich kein schlechter Kerl“, erklärte Jake. „Er macht sich immer nur an die bestaussehenden Frauen heran. Und meistens hat er Erfolg. Deshalb konnte er auch nicht begreifen, dass Sie ihn abblitzen lassen. Aber er weiß ja auch nichts von Ihrem Plan.“

„Wie schmeichelhaft.“ Kate hatte keine Lust, auf die Sticheleien einzugehen. „Mir ist aufgefallen, wie ruhig Sie geblieben sind, obwohl er Ihnen gedroht hat.“

„Früher war ich hitziger. Das muss am Alter liegen.“

„Nein.“ Kate klang sehr ernsthaft. „Ich weiß noch nicht, woran es liegt, aber das Alter ist es nicht, weswegen Sie immer so ruhig sind.“

„Wenn Sie es herausfinden, lassen Sie es mich wissen.“ Jake nahm sein Bier entgegen. „Soll ich Sie später nach Hause fahren?“

Kate zögerte kurz, doch sie konnte aus seinem Vorschlag nur Hilfsbereitschaft heraushören. „Danke, aber ich fürchte mich nicht im Dunkeln.“

„Ich glaube nicht, dass Sie sich überhaupt vor irgendetwas fürchten. Wie läuft es denn mit Ihrem Plan?“

„Für heute habe ich ihn aufgegeben“, sagte Kate. „Wie schon gesagt, hier kommt mir dieser Plan auf einmal ziemlich unsinnig vor.“

„Freut mich, das zu hören. Ich dachte schon, Brad sei einer der Kandidaten.“

„Ich wollte nicht überheblich wirken“, sagte Kate und dachte an Donald. „Er war freundlich, also war ich es auch.“

„Vielleicht sollten Sie sich etwas zurückhalten. Die Jungs hier kommen sonst noch auf dumme Gedanken.“

„Dann war es also meine Schuld, ja?“ fuhr sie ihn an.

„Nein. Aber in diesem Kleid wirkt Freundlichkeit auf Männer nicht ganz so harmlos.“

„Was ist an diesem Kleid auszusetzen?“

„Es hat kein Rückenteil.“ Jake blickte ihr über die Schulter. „Ich beklage mich nicht, aber hier bekommen wir sonst nicht so viel Haut zu sehen. Verstehen Sie mich? Hören Sie doch einfach auf, Betrunkene anzulächeln.“

Kate riss sich mit Mühe zusammen. „Danke für den guten Rat“, erwiderte sie knapp. „Ich werde ihn beherzigen.“

Jake lächelte. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass Sie reizend aussehen, wenn Sie wütend sind.“ Damit tippte er sich an den Hut und ging wieder zum Billardspielen.

„War er schon immer so?“ erkundigte sie sich bei Nancy.

„Wie?“

„So … so lahm.“

Nancy lachte auf. „Oh, lassen Sie sich davon nicht täuschen. Er ist hellwach. Ihm entgeht nichts.“

„Aber er bewegt sich doch sehr langsam.“

„Das ist halt sein persönliches Energiesparprogramm. Bist du an ihm interessiert?“

„Nein. Er ist nicht mein Typ Und das beruht auf Gegenseitigkeit.“

„Jake mag so ziemlich jeden“, erwiderte Nancy.

Kate blickte sich um und sah, wie eine junge Frau sich angeregt mit Jake unterhielt. Jake schien ihr Interesse jedenfalls nicht unangenehm zu sein, obwohl sie viel zu jung für ihn war.

„Noch ein Bier“, sagte Nancy. „Das geht auf Rechnung des Hauses.“

Kate bedankte sich und unterhielt sich den Rest des Abends mit Nancy, ohne auf die Männer zu achten, die sich Hoffnungen zu machen schienen.

Zwischendurch bediente Nancy an der Bar. Als sie sich gegenseitig aus ihrem Leben erzählten, bildete sich zwischen ihnen eine Freundschaft heraus, und schon bald erwähnte Kate Nancy gegenüber den Plan, den Jessie für sie ausgeheckt hatte.

„Ich weiß, dass das dumm klingt“, sagte Kate.

„Tja, ich bin nicht so sicher“, entgegnete Nancy. „Ist doch besser, als zu Hause zu sitzen und darauf zu warten, dass der Richtige vorbeikommt.“

„Ich habe aber Fehler gemacht“, gestand Kate ein. „Nur weil er erfolgreich sein sollte, habe ich nicht auf andere Eigenschaften geachtet. Du hättest meinen Golfpartner sehen sollen!“

„Ist das der, den du hinterher beatmen musstest? Davon habe ich gehört“, bemerkte Nancy schmunzelnd.

„Und dann der, mit dem ich heute einkaufen war!“ Kate schüttelte den Kopf. „So etwas Überhebliches habe ich noch nicht erlebt.“

„Von dem habe ich auch gehört. Man hat mir auch erzählt, dass du sehr nett bist, und wir haben uns alle gewundert, warum du mit so einem arroganten Kerl überhaupt ausgehst.“

„Die alle?“ fragte Kate nach.

„Es ist ein kleiner Ort. Wir mögen dich.“

‚Ach so“, sagte Kate verunsichert. „Ich mag die Leute auch.“

„Gut. Dann solltest du dich lieber mit Männern von hier treffen als mit den reichen Geschäftsleuten.“

Kate schüttelte den Kopf. „Mein Traummann muss nun mal ein Großstadtmensch sein. Aber er soll nicht nur erfolgreich sein, sondern muss auch ein lieber Mensch sein.“

„Wer weiß, vielleicht ist dein Traummann ganz in deiner Nähe.“

„Bei meinem Glück ist er gerade angeln in Alaska.“

Um zehn Uhr verschwand Penny mit dem „Zahnarzt“, und Kate half Nancy bei der Arbeit. Zwischendurch unterhielten sie sich weiter. Die Wand hinter der Theke war mit Fotos übersät, und während Nancy arbeitete, betrachtete Kate die Bilder eingehend. Es waren junge und alte Leute, einzeln und in Gruppen, aber dennoch hatten sie etwas gemeinsam. Schließlich fand Kate heraus, was es war. Sie alle lächelten so glücklich, dass man erkannte, dass sie sich hier in Toby’s Corners wohl fühlten.

„Woher hast du all die Fotos?“ erkundigte sich Kate.

„Die Leute bringen sie mit“, antwortete Nancy. „Manche sind von der Familie, andere von guten Freunden. Schau mal, das da oben ist Jake.“

„Wo?“

Nancy wies auf einen jungen Footballspieler, der drohend in die Kamera sah. Er musste ungefähr zwölf sein.

„Da trägt er ja fast noch Windeln.“ Kate lachte.

„Er war aber wirklich gut. Allerdings war das bei der schlechten Mannschaft auch nicht schwer. Wir haben regelmäßig den letzten Platz in der Liga.“

Kate lachte wieder.

„Trotzdem war Jake der große Held damals“, meinte Nancy und fügte dann nachdenklich hinzu: „Manchmal denke ich, das ist ein Teil seines Problems.“

„Was stimmt denn mit ihm nicht?“ wollte Kate wissen.

„Ach, er fängt mit seinem Leben nichts an. Das ist hier eigentlich nichts Ungewöhnliches, aber Jake war früher ganz anders. Jetzt ist es Will, der von allen bewundert wird. Ich glaube, Jake ist es ganz recht so. Er war es vielleicht einfach leid, immer von allen beachtet zu werden.“ Sie neigte den Kopf zur Seite. „Wirklich, er ist jetzt ein ganz anderer Mensch als früher.“

Nach Mitternacht wurde es in der Bar ruhiger, und Sally und Thelma, die beiden Kellnerinnen, gingen nach Hause. Ben übernahm den Tresen, und so konnten Nancy und Kate eine Pause machen. Leicht angeheitert und entspannt saßen sie vor ihrem letzten Drink und unterhielten sich.

„Ich sehe Ben zum ersten Mal heute Abend arbeiten“, stellte Kate fest. „Ist er dein Teilhaber?“

„Nein.“ Nancy schüttelte den Kopf. „Er arbeitet für eine Versicherung. Diese Bar gehört allein mir. Ich habe sie von meinen Eltern geerbt. Sie haben sie im Jahr meiner Geburt eröffnet und nach mir benannt. Hier bin ich aufgewachsen. Mein Laufstall stand früher dort, wo jetzt der Flipperautomat steht.“

„Dann ist hier also dein Zuhause.“ Kate nickte. „Das verstehe ich gut.“

„Komm doch morgen Abend wieder“, schlug Nancy vor. „Um acht Uhr. Zieh einen kurzen schwarzen Rock an, dann bringe ich dir bei, wie man eine Bar führt.“

„So was lernt man nicht im College.“ Kate trank einen Schluck Bier. „Ich würde mich freuen.“ Sie sah Nancy an und beschloss, offen zu sein. „Hör mal, ich muss dir etwas Wichtiges erzählen.“

Nancy blickte interessiert auf, und Kate zögerte nicht länger.

„Ich weiß aus verlässlicher Quelle, dass Will Templeton beim Hotel eine Country-Bar einrichten will, die dich wahrscheinlich aus dem Geschäft drängt.“

„Blödsinn“, erwiderte Nancy nur. „Das würde Will niemals tun. Woher weißt du das?“

Kate seufzte auf. „Von Valerie, seiner Verlobten.“

„Das mit der Verlobung bildet sie sich genauso ein wie die Idee mit der Bar“, entgegnete Nancy.

„Du solltest mit Will reden.“ Kate musste an ihren Vater denken. „Geschäftsfreunde können ganz plötzlich übereinander herfallen. Wirklich, du solltest die Sache ernst nehmen.“

„Pass mal auf.“ Nancy beugte sich vor. „Valerie versteht das nicht, und du, wie es scheint, auch nicht. Will und Jake haben die Stadt gerettet, als diese Fabrik schloss. Mit Jakes Geld haben sie jeden hier angestellt, um am Aufbau dieses Hotels und der Anlage mitzumachen. Dabei hätten sie sich von außerhalb viel billigere und noch dazu besser ausgebildete Fachkräfte holen können, aber das haben sie nicht getan.“ Nancy schüttelte den Kopf. „Will hat mir sogar ein Darlehen für die Renovierung der Bar gegeben, ohne irgendwelche Sicherheiten zu verlangen. Immerhin hatte ich bereits eine Hypothek bei der Bank.“

„Aber dann bist du doch sehr angreifbar“, sagte Kate erschrocken.

„Versteh doch endlich“, redete Nancy auf sie ein. „Wir sind praktisch eine große Familie. Will brauchte nur sein Geld zurückzufordern, und ich wäre erledigt. Aber das würde er niemals tun.“

„Hast du dir schon einmal überlegt, wie du mehr Gäste aus dem Hotel bekommen könntest?“ fragte Kate nach. „In dem Punkt hat Valerie Recht, diese Leute haben viel Geld. Für so eine urige Atmosphäre wie in deinem Laden würden sie viel bezahlen.“

Nancy schüttelte den Kopf. „Wir müssten hier anbauen und viel größere Mengen einkaufen. Ich möchte lieber nur Getränke verkaufen und mit den Leuten reden.“

Kate trank nachdenklich weiter. Obwohl schon ein wenig benebelt, wusste sie genau, was sie zu tun hatte. „Ich bin Geschäftsfrau“, sagte sie. „Lass mich dir helfen. Du kannst ohne große Mühe wenigstens so viel Geld verdienen, dass du deine Schulden zurückbezahlen kannst. Du musst die Preise erhöhen.“

„Aber die Leute hier haben nicht viel Geld.“

„Dann gib den Einheimischen einen Rabatt und verlang von den Hotelgästen mehr für die Getränke. Du bezahlst doch Zinsen für deine Schulden, stimmt’s? Das ist wirklich unnötig.“ Kate versuchte, sich zu konzentrieren. „Zunächst musst du einen Plan für die Ausdehnung deiner Geschäfte erstellen. Dann such dir einen Partner, der dir Geld gibt und dafür an den Gewinnen beteiligt wird. Meinetwegen Will und Jake. Bloß sieh zu, dass du diese Schulden loswirst.“

Nancy trank einen Schluck und sah dann hoch. „Und du könntest mir bei diesem Plan helfen?“

„Na sicher. Normalerweise verlange ich dafür viel Geld, aber bei dir reicht es mir, wenn du mir freie Drinks für den Rest meines Lebens versprichst.“

„Abgemacht.“ Nancy streckte die Hand aus. „Erst mal möchte ich den Plan sehen, dann entscheide ich mich.“

„In Ordnung“, willigte Kate ein. „Das wird mir Spaß machen.“

„Wie kommt es nur, dass ich nervös werde, wenn ihr beide euch die Hände schüttelt?“ fragte Jake hinter ihnen.

„Weil Sie ein Feigling sind.“ Kate legte den Kopf in den Nacken, um Jake zu sehen.

„Nancy, du darfst dieser Frau keinen Alkohol geben.“

„Vorsicht, lass meine Freundin in Ruhe.“ Nancy stand auf, um Ben zu helfen. „Wir haben noch viel vor.“

„Ich denke, ich werde jetzt nach Hause fahren.“ Kate stand unsicher auf.

„Sie können nicht einmal mehr das Glas festhalten. An Ihrer Stelle würde ich mit dem Trinken aufhören. Ich bringe Sie nach Hause“, erklärte Jake.

„Aber ich will noch ein letztes Bier.“

„Das ist alles, was Sie bekommen“, sagte Jake und goss ihr einen Kaffee ein. „Der dort drüben kriegt heute Abend auch nur noch Kaffee.“

„Wer ist das?“ Kate blickte in die Richtung, in die Jake wies.

„Henry, der alte Biologielehrer. Seiner Frau Mühe gehört die Bäckerei. Und der Mann da hinten ist mein Onkel Early.“

Verwundert sah Kate Jake an. „Sie kennen hier anscheinend jeden.“

„So ziemlich. Schließlich bin ich hier aufgewachsen.“

„Bald werde ich hier auch die Leute kennen. Nancy hat mir einen Job angeboten. Sie bringt mir bei, wie man eine Bar führt.“

„Sie werden alles, was Sie verdienen, gleich wieder vertrinken. Ich kenne Sie jetzt seit zwei Tagen, und Sie waren dreimal betrunken.“ Jake schüttelte den Kopf. „Ein Job in einer Bar ist nicht das Passende für Sie.“

„Bei der Hawaii-Party hat das Betrinken nicht geklappt“, stellte sie richtig. „Und Lance würde ich auch stocknüchtern jederzeit wieder in den Pool stoßen. Ich trinke sonst kaum etwas.“

„Schon gut“, beruhigte Jake sie. „Aber schlafen Sie nicht ein, bevor ich Sie nicht in Ihrem Apartment abgesetzt habe.“

„Ich werde mir die größte Mühe geben“, versprach Kate und blickte ihn mit ehrlichem Augenaufschlag an. „Übrigens weiß ich, dass Will und Sie Nancy Geld geliehen haben.“

„Hat sie Ihnen auch ihre Unterwäsche gezeigt? Offenbar hat sie ja kein Thema ausgelassen.“

„Sie wollte mir nur erklären, dass Sie ihre Bar leicht ruinieren könnten, indem Sie das Geld zurückverlangen“, sagte Kate.

„Wieso sollte ich das tun?“

„Damit Sie mit Ihrem Bruder eine Bar beim Hotel eröffnen können.“

„Ja richtig.“ Jake nickte. „Die gute Valerie. Vergessen Sie Valerie und ihre Pläne.“

„Valerie.“ Kate zog die Stirn kraus. „Sie denkt, wir seien uns ähnlich, und sie sieht in mir ihr großes Vorbild.“

Jake überlegte kurz, was er zunächst über Kate gedacht und wie er seine Meinung geändert hatte. „Nein“, sagte er dann. „Sie beide sind sich überhaupt nicht ähnlich.“

Kate schloss die Augen. „Vielen Dank. Da bin ich aber froh.“

Nachdenklich blickte Jake sie an. „Sie haben Nancy also von Valeries Plänen berichtet?“

„Penny fand, wir sollten sie warnen. Ich wollte mich heraushalten, aber Nancy ist so nett, dass ich sie einfach warnen musste.“

„Macht sie sich Sorgen?“

„Nein, sie hält Will und Sie für wahre Engel.“

Jake lächelte. „Und Sie?“

„Ich kenne Will nicht, aber Sie sind bestimmt kein Engel. Trotzdem vertraue ich Ihnen. Sie verunsichern mich nur ein bisschen. Allerdings sollte jemand Valerie bremsen.“

„Das wird auch geschehen“, sagte Jake. „Was meinen Sie damit, dass ich Sie verunsichere?“

„Weiß ich nicht so genau.“ Kate sah ihn prüfend an. „Verunsichere ich Sie nicht?“

„Doch, ständig.“ Jake lächelte. „Betrunkene machen mich immer nervös.“

„Sie weichen der Frage aus“, entgegnete Kate. „Aber ich bin so müde, dass es mir egal ist. Ich verabschiede mich jetzt, dann können Sie mich nach Hause bringen.“

Jake begleitete sie bis zur Tür und ging. Kate zog sich aus, suchte kurz vergeblich nach ihrem Pyjama und ließ sich dann nackt ins Bett fallen. Wohlig müde seufzte sie auf und zog die Decke über sich.

Was für ein schöner Abend! dachte sie. Diese vielen netten Menschen. Sie würde Nancy beim Ausbau der Bar helfen, das klang nach Abwechslung. Doch dann riss sie sich aus diesen Gedanken. Denk an deinen Plan, ermahnte sie sich. Verschwende deine Zeit nicht mit Jake, sondern such dir einen erfolgreichen Geschäftsmann. Um sich aufzuheitern, dachte sie noch: Und außerdem werde ich morgen Nancys Bar retten. Mit diesem Gedanken und einem Lächeln schlief sie ein.

Sie wachte im Morgengrauen auf und fühlte sich ausgezeichnet. Jessie wäre stolz auf mich, überlegte sie. Dann dachte sie an Jake und den See, und auf einmal fand sie Jessies Idee mit dem Nacktbaden gar nicht mehr so abwegig. Es musste wunderbar sein, ins kühle Wasser zu tauchen.

Du wirst schon sehen, Jessie, sagte sie sich, zog sich ein Baumwollkleid über und ging den Weg zum See hinunter.

Im Wald war es kalt, und sie zitterte leicht. Noch bevor sie den See sah, konnte sie den Duft des Wassers riechen.

Im frühen Morgen sah der See noch reizvoller aus. Dann also los, dachte sie, atmete tief durch, zog die Sandaletten und das Kleid aus und ging ins Wasser.

Es war kalt, aber sie blieb ständig in Bewegung und spürte, wie ihre Haut sich am ganzen Körper straffte. Ihre Brustspitzen richteten sich auf, und als sie mit den Fingern darüber strich, erbebte sie unwillkürlich.

Schließlich tauchte sie unter, und das Wasser schlug über ihrem Kopf zusammen. Sie fühlte, wie ihre Muskeln sich anspannten, wie das kalte Wasser ihre Haut reizte, und als sie auftauchte, spürte sie die ersten Sonnenstrahlen auf dem Gesicht. Immer wieder tauchte sie unter und schwamm weiter. Sie kam sich so frei wie ein Kind vor und hätte sich am liebsten nie wieder angezogen.

Nach einer halben Stunde schwamm sie zum Ufer zurück und sah, dass Jake neben ihrem Kleid hockte. Kate schwamm näher heran, bis sie Boden unter den Füßen spürte. Er saß dort einfach und beobachtete sie.

„Hallo“, begrüßte sie ihn.

„Guten Morgen“, antwortete er lächelnd.

Geh weg, dachte sie, aber sie erwiderte das Lächeln und bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen. „Sind Sie gekommen, um mir zuzusehen?“

„Nein, ich wollte schwimmen.“

„Dann kommen Sie rein.“ Sie wies auf den See hinter sich. „Es ist Platz genug.“

„Ich bin mir nicht mehr so sicher.“ Er schob den Hut ein Stück weiter nach hinten. „Sind Sie nackt?“

„Ja.“

„Nun, wenn das so ist, warte ich lieber, bis Sie draußen sind.“

Kate wollte ihn gerade bitten, sich umzudrehen, doch sie entschied sich anders. Wenn sie schon nackt badete, dann sollte sie auch dazu stehen. Schließlich war es nur Jake.

Andererseits war es ihr dennoch peinlich, sich ihm nackt zu zeigen. Während sie noch darüber nachdachte, sah sie, dass er nur mit Mühe ein Lächeln unterdrückte.

Was soll’s? dachte sie. Mal sehen, ob du gleich immer noch grinsen musst. „Also gut. Der See gehört Ihnen.“

Sie schwamm auf ihn zu, bis das Wasser ihr nur noch bis zur Hüfte reichte, und dann ging sie heraus.

Jake verharrte vollkommen reglos. Sie kam auf ihn zu und hob ihr Baumwollkleid auf. Ganz dicht stand sie neben ihm, und Jake drehte sich unwillkürlich zu ihr und sah, wie ihre Brüste wippten, als sie sich hinunterbeugte. Dann streckte sie sich wieder und zog das Kleid über den Kopf. Der Stoff klebte an ihrer nassen Haut, und so dauerte es viel länger, als ihr lieb war, bis sie das Kleid über die Hüften gezogen hatte.

„Auf jeden Fall haben Sie mir den Morgen verschönert“, sagte Jake.

„Gern geschehen.“ Kate wickelte ein Handtuch um ihr nasses Haar und schlüpfte in ihre Sandaletten. „Viel Spaß beim Schwimmen“, erwiderte sie und ging in den Wald.

Jake blieb noch eine Weile sitzen, nachdem Kate verschwunden war.

Im See hatte sie noch so komisch gewirkt, als sie überlegt hatte, was sie tun sollte. Und gerade, als er sich hatte abwenden wollen, hatte sie ihn so merkwürdig angesehen und war aus dem Wasser direkt auf ihn zu gekommen.

Ben hatte Recht. Sie war kein Mädchen.

Er hatte den Blick nicht von ihr wenden können und sich wie ein Kaninchen gefühlt, dem sich eine Schlange nähert. Wie eine Göttin war sie aus dem See gestiegen. Ihr Körper war schlank und fest, die Haut vom kalten Wasser leicht gerötet. Wenn sie einen Augenblick länger gebraucht hätte, um sich das Kleid überzustreifen, dann hätte er sie berührt.

Angespannt schloss er die Augen. Gerade noch Glück gehabt. Es wäre besser, wenn er sich von nun an von Kate fern hielt. Sie war die verwirrendste Frau, die er je kennen gelernt hatte. Statt einer eiskalten Karrierefrau war sie beim Angeln die angenehmste Gesellschaft gewesen, die man sich denken konnte. Anstatt überheblich zu sein, hatte sie Nancy vor Valerie gewarnt. Jake hatte sie für unterkühlt gehalten, aber offenbar hatte sie es in vollen Zügen genossen, nackt im See zu baden. Wenn er ehrlich war, fand er sie immer attraktiver.

Aufseufzend zog er sich aus und stieg in den See. Das Bad kam ihm wie eine kalte Dusche vor, und genau die brauchte er im Moment auch.

Kate schlug die Tür ihres Apartments hinter sich zu. Ihr Gesicht war rot vor Scham. Sie hatte es getan.

Wie sollte sie sich Jake gegenüber jetzt bloß verhalten? Doch je mehr sie darüber nachdachte, desto mutiger wurde sie. Er hatte sie nackt gesehen, na und? Wahrscheinlich war es ihm vollkommen egal, also brauchte sie sich auch nicht aufzuregen. Sie würde sich verhalten, als wäre nichts passiert. Kein Grund also, sich aufzuregen.

Eigentlich konnte sie sogar stolz auf sich sein. Jessie würde sie jedenfalls für ihren Mut bewundern, das stand fest.

Gut gelaunt beschloss sie, sich mit einem üppigen Frühstück zu belohnen und bestellte Rührei, Speck und Toast.

Nachdem sie sich gestärkt hatte, zog sie sich ein übergroßes weißes Hemd über den schwarzen Badeanzug, packte Bücher und Äpfel in einen Korb, setzte ihren neuen schwarzen Hut auf und ging los, um Jake beim Boot zu treffen.





Jennifer Crusie's books