Ein Mann fur alle Lagen

5. KAPITEL


Am nächsten Morgen um neun Uhr traf Kate sich mit Jake am See, obwohl sie ein schlechtes Gewissen dabei hatte. Immerhin vergeudete sie damit wertvolle Zeit, die sie für ihre Suche nach einem Mann gebrauchen konnte.

„Valerie wollte mich zu einer Wanderung überreden“, sagte sie. ‚Bitte nehmen Sie mich mit. Ich habe ein Buch dabei und werde Sie nicht stören.“

„Sie stören mich nicht“, sagte Jake. „Steigen Sie ein.“

Er ruderte sie beide über den See bis unter die Weiden, zog sein Hemd aus und legte sich zurück, um genau wie am Vortag zu schlafen.

„Das ist alles, was Sie tun?“ fragte Kate nach. „Im Boot schlafen?“

Jake stieß unwillig die Luft aus. „Ich stehe um halb sechs auf und habe genug damit zu tun, dass das gesamte Grundstück für Leute wie Sie nett aussieht. Ist das jetzt der Dank dafür?“

„Tut mir Leid“, erwiderte Kate.

Jake nickte kurz. „Wenn Sie gern ein Schwätzchen halten wollen, rudere ich Sie sofort zurück.“

„Ich bin nur neugierig. Penny sagte, Sie seien ein Steuerberater gewesen.“

„Das stimmt“, antwortete er. „Aber jetzt bin ich Geländepfleger.“ Aufseufzend zog er den Hut in die Stirn.

„Heißt das, Sie mähen Rasen?“

„Nein, ich sage anderen Leuten, dass sie den Rasen mähen sollen. Jetzt hören Sie auf, und lassen Sie mich schlafen.“

Kate schlug ihr Buch auf, konnte sich aber nicht konzentrieren. Hier war es so friedlich und still. Wenn sie Jake von ihrem Plan erzählen würde, würde er sie auslachen. Doch sie konnte auch nicht schweigen. „Wissen Sie eigentlich, dass mir hier draußen mein Leben und meine Arbeit in der Stadt auf einmal viel unbedeutender vorkommen? Das ist doch seltsam. So vieles, was mir wichtig schien, wirkt hier auf dem See lächerlich und unbedeutend.“

Er schwieg so lange, dass sie schon annahm, er würde schlafen. „Ja“, sagte er dann unvermittelt.

Kate fuhr verblüfft hoch.

„Ich weiß, was Sie meinen.“ Jake schob sich den Hut wieder aus dem Gesicht. „Deshalb verbringe ich meine Zeit auch lieber hier auf dem See als in der Stadt. Dort dachte ich immer, Geld sei wichtig und ich müsse sehr viel davon verdienen.“

„Und das ist lächerlich?“ fragte Kate nach.

„In Boston ist das ganz normal“, wandte Jake ein. „Aber dort hielten mich die Leute auch für einen Wunderknaben.“

„Hier nicht?“

„Tja.“ Jake zögerte einen Augenblick. „Hier in ‚Toby’s Corners’ benutzt man Geld, um davon das Essen und die Miete zu bezahlen. In der Stadt braucht man Geld zum Angeben und Mithalten mit den anderen.“

„Liegt das nicht daran, dass es einfach mehr Geld in der Stadt gibt?“

„Nein“, erwiderte Jake. „Meine Tante Clara war für hiesige Verhältnisse reich, und bei ihrem Tod hat sie ihr Geld zwischen Will und mir aufgeteilt. Für ihn hier bedeuteten die zwanzigtausend Dollar ein Vermögen. Für mich in Boston war es ein Taschengeld.“ Jake öffnete die Kühltasche. „Ich trinke ein Bier, aber Sie bekommen nur Saft.“ Er reichte ihr einen Orangensaft und lehnte sich zurück.

„Danke.“ Kate erwiderte nichts, damit sie auch den Rest der Geschichte noch zu hören bekam. „Was geschah dann?“

„Nach meiner Scheidung wusste ich nicht mehr, wohin mit meinem Geld und habe damit an der Börse spekuliert. Es war wie ein großes Spiel. Mal habe ich ein bisschen verloren, dann wieder viel gewonnen.“

Nachdem er eine Weile geschwiegen hatte, räusperte Kate sich. „Was weiter?“ drängte sie ihn.

„Will hatte von dem Geld ein paar alte Apartmenthäuser und das Land drum herum gekauft und renovieren lassen. Die Möbel hat er von den Bekannten aus dem Ort und der Familie bekommen. Er machte etwas Werbung, und ein paar Touristen tauchten hier auf. Will baute ein paar neue Häuschen, nahm einen Kredit auf und richtete den Golfplatz ein. Es lief alles ganz gut, aber nach dem Maßstab von Großstädtern hat er überhaupt nichts verdient. Er konnte ein paar Leuten aus der Gegend einen Job bezahlen und sich so gerade eben selbst versorgen.“

„Sie haben ein völlig anderes Leben geführt als er“, stellte Kate fest.

„Will und ich waren schon immer sehr verschieden“, sagte Jake. „Ich war der Dauerläufer, er der Sprinter. Ich wollte unbedingt weg von hier, und er wollte auf jeden Fall hier bleiben. Langweile ich Sie?“

„Überhaupt nicht.“ Kate schüttelte entschieden den Kopf.

„Will konnte noch mehr Leute einstellen, und auf einmal war er ein wichtiger Arbeitgeber hier in der Gegend. Die meisten Leute aber arbeiteten in einer Fabrik in der Nähe. Dann schloss die Fabrik, und dreihundert Menschen verloren die Arbeit.“

„Und was geschah?“ hakte Kate nach.

„Die Leute fragten Will, ob er Arbeit für sie hätte, aber er konnte natürlich bei weitem nicht so viele anstellen.“ Jake blickte sie an. „Und Will rief mich an.“

„Sie haben ihm geholfen.“

Jake lachte auf. „Nein. Er wollte nicht meine Hilfe, sondern Geld. Und zwar viel. Er wollte ein Freizeitgelände aufbauen, das dreihundert Leuten Arbeit gab.“

„Oh.“ Kate wurde verlegen. „Jetzt sehe ich die Anlage mit ganz anderen Augen.“

„Ja.“ Jake nickte. „Immer wenn ich denke, wie lächerlich diese Anlage hier im Nirgendwo wirkt, fallen mir die Arbeitsplätze ein, und ich halte meinen Mund.“

„Dann haben Sie für ihn einen Kredit besorgt?“

„Nein.“ Jake nahm sich noch ein Bier. „Ich gab ihm all mein Geld und kam zurück nach Hause.“

„Es muss sehr viel Geld gewesen sein.“

„Will war beeindruckt“, erwiderte Jake. „Und während das alles hier gebaut wurde, hatten die dreihundert Leute Arbeit. Dann kamen die Touristen, und die Geschäfte in ‚Toby’s Corners’ konnten handgearbeitete Dinge verkaufen und Antiquitäten und Souvenirs. Wenn Valerie wieder eine ihrer Veranstaltungen plant, wie zum Beispiel diese schreckliche Hawaii-Party, dann holen wir die Hilfskräfte weit aus dem Umland. Kurz gesagt: Will hat unser Städtchen gerettet.“

„Will und Sie“, stellte Kate richtig.

„Nein.“ Jake zog sich den Hut wieder ins Gesicht. „Nur Will. Ich hatte zu der Zeit zufällig gerade viel Geld. Ein paar Wochen früher oder später wäre ich vielleicht wieder pleite gewesen. Im Moment habe ich jedenfalls überhaupt kein Geld. Kommen Sie also nicht auf irgendwelche Ideen.“

„Was für Ideen denn?“

„Dass ich reich sei und für Sie in Frage komme.“

Kate war einen Moment sprachlos.

„Ich kenne Frauen wie Sie“, sagte Jake. „Sie verspeisen die Männer zum Frühstück. Aber ich bin schon gefressen worden. Vergessen Sie mich.“ Dabei blickte er sie nicht an.

Kate überlegte, ob sie ihn treten solle. Aber das wäre nicht damenhaft, und so ließ sie es bleiben. „Seltsam, dass sich das Boot bei dem Gewicht Ihres Selbstbewusstseins über Wasser halten kann“, stellte sie fest.

„Haha.“

„An einem überheblichen, schäbigen, sturen Macho wie Ihnen ist nichts, was mich reizen könnte.“

„Schäbig?“

„Sie könnten einen Haarschnitt vertragen.“

„Das ist genau die Haltung, die mich aus der Stadt vertrieben hat.“

„Und dieser Cowboyhut ist einfach lächerlich.“

„Moment mal.“ Jake richtete sich leicht auf. „Das ist er nicht. Will hat ihn mir gegeben, weil er meinte, ich sei ein Held.“

„Wie bitte?“ Kate sah ihn verblüfft an.

„Er sagte, ich hätte die Stadt gerettet, und im Western würde der Held auch immer einen weißen Hut tragen.“

Sie musste lachen. „Und jetzt tragen Sie ihn ständig. Angeber.“

Jake sah sie stirnrunzelnd an.

„Sie genießen es, einer der beiden Templetons zu sein, die ‚Toby’s Corners’ vor dem Untergang bewahrt haben. Immer mit dem Heldenhut herumlaufen und unschuldige Leute aus der Stadt wie mich beleidigen!“

„Sie sind nicht unschuldig“, widersprach er.

„Und ob. Ich kann es nicht fassen, dass Sie denken, ich würde mich an Sie heranmachen, weil Sie reich sind.“

„Ich bin nicht reich.“

„Aber ich“, erklärte Kate. „Und wie.“

„Wie reich denn?“ bohrte Jake nach. „Ich sollte Sie für das Bier zahlen lassen.“

„Ich bekomme ja keins zu trinken“, regte Kate sich auf. „Dachten Sie wirklich, ich mache mir des Geldes wegen etwas aus Ihnen?“

„Ich weiß aus guter Quelle, dass Sie hier sind, um sich einen reichen Geschäftsmann zu angeln.“ Jake sah ihr in die Augen. „Das habe ich mir nicht ausgedacht.“

„Wer sagt das?“

„Valerie hat es Will erzählt.“

„So ein Mist.“ Kate schüttelte lächelnd den Kopf. „Ja, das war auch eine dieser Ideen, die mir in der Stadt noch ganz großartig vorkamen.“

„Halten Sie sich fern von großen Städten“, empfahl Jake. „Offenbar sind Sie für unsinnige Ideen noch anfälliger als ich.“

„Mit fünfunddreißig heiraten zu wollen ist gar nicht so unsinnig. Und weil der Traummann nicht erschien, habe ich mich eben auf die Suche begeben.“

„Und da sind Sie hierher gekommen, um sich zu verloben?“

„Verlobt bin ich schon dreimal gewesen. Diesmal wollte ich einen zum Heiraten finden.“ Kate sah ihn prüfend an. „Und Sie sind kein Kandidat für mich. Also entspannen Sie sich, und trinken Sie Ihr Bier.“

„Dreimal verlobt?“ Jake lachte. „Was hat die drei vertrieben?“

„Ich habe sie verlassen.“ Kate versuchte vergeblich, zerknirscht auszusehen. „Es hat einfach nicht geklappt.“

„Wieso stellen Sie sich in einem großen Geschäftsgebäude nicht solange vor die Herrentoilette, bis einer herauskommt, der gut genug aussieht?“

„Danke für den Tipp. Machen Sie sich ruhig lustig. Ich unternehme wenigstens etwas, anstatt Rasen zu mähen.“

„Ich beaufsichtige diese Arbeiten nur. Also bin ich ein Manager, und im Grunde gehört mir die Hälfte der gesamten Anlage. Leider kann ich das Geld nicht flüssig machen, deshalb komme ich für Sie nicht in Frage.“

„Selbst wenn Sie mit Geldscheinen um sich werfen würden, wäre ich nicht interessiert. Aber heute Nachmittag gehe ich mit Donald Prescott einkaufen. Er ist Börsenmakler und vielleicht der Mann meiner Träume.“

„Nein, das ist er nicht“, entgegnete Jake.

„Wie bitte? Das können Sie doch gar nicht beurteilen.“

„Zumindest ist er kein Börsenmakler.“ Jake schüttelte den Kopf. „Sie glauben den Männern anscheinend alles. Er arbeitet für eine Hotelkette und versucht, Valerie als Managerin zu gewinnen.“

Kate wirkte verwirrt. „Was wird Will tun?“

„Hoffen, dass der Mann sich beeilt. Und jetzt erzählen Sie mir lieber von Ihrem Plan, damit ich mich vor Ihnen in Acht nehmen kann.“

„Keine Gefahr. Ich suche einen großen, erfolgreichen und gebildeten Mann.“

„Ich bin groß“, entgegnete Jake.

Aber Sie haben eine schlechte Haltung. Keine Chance. Sie sollten meine Freundin Jessie kennen lernen. Die hat eine Schwäche für Verlierer. Bestimmt würde sie Sie mögen.“

„Ich werde jetzt schlafen. Wecken Sie mich, wenn es Zeit für Donald Prescott wird.“

„Ganz bestimmt“, erwiderte Kate. „Es wird ein wundervoller Nachmittag mit ihm werden, das weiß ich genau.“

Zusammen mit Penny und Brian, einem Freund von ihr, fuhren Kate und Donald nach Toby’s Corners.

Das Städtchen war wundervoll, aber Donald war entsetzlich.

Sein Äußeres war überaus gepflegt und tadellos, seine Umgangsformen makellos, und er passte genau in Kates Plan. Gegen Ende des Nachmittags hatte Kate allerdings eine etwas andere Meinung von ihm.

Im Souvenirladen kaufte Brian einen rosafarbenen Stoffhund für Penny, während Donald ihnen ohne Scheu verkündete, wie überteuert der ganze Ramsch in diesem Geschäft sei. Der kleine alte Mann, dem der Laden gehörte, wirkte so verletzt, dass Kate für Jessie ein grellbuntes T-Shirt und für ihren Vater einen hässlichen Aschenbecher kaufte. „Ein niedliches Geschäft“, versicherte sie dem Besitzer, um Donalds Verhalten auszugleichen, und der alte Mann lächelte sie dankbar an.

In der Kunstgalerie hingen hässliche Landschaftsbilder, und Kate versuchte, sich in Erinnerung zu rufen, wie viel Stunden an Arbeit in den Bildern steckten. „Malen nach Zahlen“, fällte Donald sein Urteil, ohne sich um den jungen Mann zu scheren, der hinter einem Tisch saß und vor Zorn rot anlief. Kate kaufte ein Bild von dem See mit den Weiden und versicherte dem jungen Mann, wie reizvoll es sei.

So ging es weiter. Um Donalds abfällige Bemerkungen auszugleichen, kaufte Kate eine Überdecke, Kopfkissenbezüge und schließlich zwei Cowboyhüte – einen schwarzen für sich und einen roten für Penny.

Schließlich gingen sie in einen Imbiss, weil Kate erschöpft und hungrig war. Außerdem reichte es ihr, für Donalds verletzende Bemerkungen büßen zu müssen, indem sie unnütze Dinge kaufte. Immerhin wusste sie, wie sehr die Leute hier vom Touristengeschäft abhängig waren.

„Was darf’s denn sein?“ erkundigte eine kleine rundliche Frau sich bei ihnen.

„Hamburger, Pommes Frites und viel Ketchup“, bestellte Penny, und Brian nickte nur begeistert.

„Gibt es hier auch etwas, das nicht im Fett schwimmt?“ fragte Donald barsch.

„Kartoffelbrei mit Fleischsoße und Salat“, las Kate aus der Karte vor. „Das sollte ich nehmen. Eine doppelte Portion bitte.“

Der Kartoffelbrei war locker, und die Soße dazu war dunkelbraun, schmackhaft und mit kleinen Speckstücken abgerundet.

„Schmeckt himmlisch“, versicherte Kate der kleinen Frau, die dankbar lächelte und wieder verschwand.

„Das ist Püree aus der Tüte“, nörgelte Donald laut. „So ein kleiner Imbiss kann es sich nicht leisten, das Püree selbst zu machen.“

Kate ging nicht darauf ein. Sie schmeckte genau die echten Kartoffeln und die Butter. Die Soße, das Fleisch und der Salat waren genauso lecker. Wer brauchte einen Mann, wenn es so gutes Essen gab? „Mir schmeckt’s“, meinte sie nur.

„Lass mich probieren“, entgegnete Donald und streckte die Hand genau in dem Moment nach ihrem Teller aus, als Kate ein Stück Fleisch auf die Gabel spießen wollte.

Später konnte sie sich nicht erinnern, ob sie sich noch hätte bremsen können, oder ob sie Donald absichtlich hatte strafen wollen. Jedenfalls rammte sie ihm die scharfen Zinken der Gabel in den Handrücken und traf eine Ader.

Donald schrie auf, und hastig schob Kate seine Hand zurück, damit sein Blut nicht auf ihr Essen spritzte.

„Das tut mir so leid, Donald“, sagte sie und aß weiter.

Eine Stunde später hielt Kate vor ihrem Apartmenthäuschen, brachte ihre Einkäufe weg und ging anschließend zum Pool. Nach dem reichhaltigen Essen fühlte sie sich großartig, auch wenn Donald sie zum Aufbruch gedrängt hatte, nachdem ihm seine Hand verbunden worden war.

Als sie sich in einen Liegestuhl setzte, stand Donald an der Bar, ein Glas in der linken Hand, und würdigte Kate keines Blickes. Offenbar hatte er nicht vor, die Bekanntschaft mit ihr weiter zu vertiefen. Gut so, dachte Kate. Wahrscheinlich würde er mir im Bett vorwerfen, dass ich meinen Höhepunkt nur vorspiele. Und bestimmt hätte er damit sogar Recht.

Penny winkte ihr zu, und Kate schob den Liegestuhl neben ihren. „Danke, dass du mich heute zum Mitkommen überredet hast“, sagte sie zu Penny. „Ich habe mich köstlich amüsiert.“

„Vergiss nicht, dass wir heute Abend noch in Nancys Bar gehen“, erinnerte Penny sie.

„Wie könnte ich“, erwiderte Kate und entspannte sich, um den Nachmittag in vollen Zügen zu genießen.

Jake beobachtete Kate und wandte sich dann entschlossen ab. Sie wirkte überhaupt nicht aufgeregt, aber irgendetwas musste schief gelaufen sein. Donald hatte eine bandagierte Hand, und grinsend überlegte Jake, was Kate ihm angetan haben mochte.

Unvermittelt tauchte Kate neben ihm auf. „Ein Wasser bitte“, bestellte sie lächelnd.

„Gern.“ Jake ging hinter die Bar und schenkte ihr ein Glas ein. „Wie war es heute?“

Kate blickte kurz zu Donald hinüber. „Nicht so gut. Wieso?“

„Ich habe mich nur gefragt, weswegen der gute Donald einen Verband trägt. Haben Sie ihn vielleicht gebissen?“

„Auch kein schlechter Gedanke, aber ich habe ihn gestochen.“

Jake schüttelte tadelnd den Kopf. „Bitte versuchen Sie, von jetzt an niemanden mehr zu verletzen, ja?“

„Er hat es verdient“, beharrte Kate.

„Da bin ich sicher, aber wenn Sie so weitermachen, vergraulen Sie unsere Gäste.“

„Ich werde mich bessern“, sagte Kate. „Heute Abend werde ich zum Beispiel gar nicht hier sein. Ich gehe mit Penny in eine Bar namens ‚Nancy’s’.“

„Dann sollte ich Nancy lieber vorwarnen.“

„Nur zu.“ Kate ging zurück zu ihrem Liegestuhl, wobei sie sich bewusst war, dass Jake ihr nachsah.

Ein Glück, dass ich für Frauen wie sie nichts übrig habe, dachte Jake. Sonst würde ich jetzt tief in Schwierigkeiten stecken.

Um sieben klopfte Penny an Kates Tür. „Komm schon, Kate“, rief sie. „Lass uns gehen.“ Sie trug riesige weiße Ohrringe, den neuen Cowboyhut und ein leuchtend blaues Strickkleid, das mindestens zwei Handbreit über dem Knie endete. Das konnte sie sich bei ihren phantastischen Beinen gut leisten. Als sie Kates Apartment betrat und sich aufs Bett setzte, rutschte das Kleid noch ein Stück höher. „Du wirst diese Bar lieben. Alle sagen, es sei die beste Bar weit und breit.“

„Ich bin sofort fertig“, sagte Kate. Sie wusste nicht, was sie anziehen wollte. Obwohl sie Penny sehr mochte, war es niederschmetternd, mit ihr irgendwo hinzugehen. Da kann ich nicht mithalten, dachte sie, während sie Pennys Knie und Schenkel begutachtete.

Aus dem Schrank holte sie ein weißes Seidenkleid, das zwar für eine Bar etwas zu förmlich und im Rücken etwas zu tief ausgeschnitten war, aber wenigstens reichte es bis zur Wade. Ein zweiter Blick auf Pennys Schenkel überzeugte sie. Dies war ihr Kleid.

Sie steckte das Haar zu einem Knoten und legte wieder ihre goldenen Ohrringe an.

„Du solltest das Haar offen tragen“, riet Penny ihr. „Es sieht wirklich schön aus.“

„Es ist zu lockig und zerzaust.“ Kate steckte eine Strähne hinter dem Ohr fest.

„Männer mögen zerzaustes Haar. Das berühren sie am liebsten.“

Kate blickte auf Pennys offenes langes Haar. Es sah hinreißend aus. „Das passt nicht zu mir“, sagte sie entschieden.

Aufseufzend folgte Penny ihr zum Auto.

Es überraschte Kate, dass ihr die Bar tatsächlich gefiel. Genau wie Penny es beschrieben hatte, eine richtige Country-Bar. Gedämpftes Licht, solide Holztische und eine glänzende Juke-Box, aus der Country- und Western-Songs ertönten. Im Hintergrund konnte Kate das Klicken von Billardkugeln hören, und irgendwo spielte jemand an einem Flipperautomaten. Eine richtige Bar ohne jeden Schnickschnack.

Hinter der alten Eichentheke stand eine gut aussehende Rothaarige, die gerade die marmorne Arbeitsfläche abwischte. Wie die Bedienungen trug sie ein schwarzes Shirt und ein rosafarbenes Jackett. Sie wirkte selbstsicherer und war schon über dreißig. Kate schätzte, dass diese Frau Nancy war.

„Weißwein bitte.“ Kate setzte sich direkt vor ihr auf einen Barhocker, und die rothaarige Frau schenkte ihr ein. Penny stand mit dem Rücken zur Theke und blickte sich im Raum um.

„Ich bin Nancy“, stellte die Frau sich vor. „Wenn ihr etwas wollt, müsst ihr laut rufen. Das machen hier alle so.“

Kate lächelte. „Ich heiße Kate, und das hier ist Penny.“

„Deine Bar gefällt mir“, sagte Penny und wandte sich um. „Es wirkt alles so echt.“

„Danke“, sagte Nancy. „Genauso wollten wir es auch haben. Der Mann dort drüben im blau karierten Hemd ist mein Ehemann.“

Kate blickte zum Billardtisch hinüber. Nancys Mann war blond und untersetzt. Im Moment sah er traurig zu, wie ein großer Mann mit hellem Cowboyhut eine Kugel nach der anderen in die Löcher stieß.

„Ist das nicht Jake?“ fragte Penny.

„Ihr kennt Jake?“ erkundigte Nancy sich. „Er schlägt Ben jedes Mal beim Billard. Die beiden spielen mittlerweile seit zehn Jahren, und Ben hat nicht ein einziges Mal gewonnen.“

„Wieso spielt er dann weiter gegen ihn?“ wollte Kate wissen.

„Er sagt, dass er immer besser wird. Vielleicht sollte eine von euch beiden hinübergehen und Jake ablenken, damit Ben auch einmal gewinnt.“

„Später vielleicht“, sagte Penny. „Erst müssen wir mal die Lage sondieren. Stimmt’s, Kate?“

„Was möchtest du denn trinken, Penny?“ lenkte Kate hastig ab. „Ich lade dich ein.“

„Einen Daiquiri mit Erdbeeren“, sagte Penny.

Nancy stöhnte leise auf, und Kate schlug schnell vor: „Nimm doch lieber ein Bier. Die Männer hier mögen sicher Frauen, die Bier trinken.“

„Meinst du? Na gut, dann eben ein Bier.“

„Danke“, sagte Nancy zu Kate und wandte sich rasch ab, um Pennys Bier zu zapfen. Ben blickte vom Billardtisch hoch. „Sieh dir mal die beiden Hübschen an der Bar an“, sagte er.

Jake warf einen Blick über die Schulter und stutzte. Dann drehte er sich wieder zu Ben um. „Die im weißen Kleid ist Kate.“

„Die Killerfrau?“ Ben betrachtete sie eingehender. „Was für ein Kleid!“

„Ja“, stimmte Jake zu. „Ich glaube, du hast gerade wieder mal verloren, mein Freund.“

Misstrauisch sah Ben ihn an. „Du hast gesagt, sie sei ein nettes Mädchen.“

„Das ist sie auch.“ Jake begutachtete die Lage der Billardkugeln. „Abgesehen von dem Schaden, den sie bei Männern anrichtet.“

Ben schüttelte den Kopf. „Sie ist aber kein Mädchen.“

Jake stieß die letzte Kugel ins Loch. „Nein, da hast du recht. Lust auf noch eine Partie?“

„Na klar. Gleich fängt meine Glückssträhne an.“

„Hier ist es wundervoll, Penny“, stellte Kate fest. „Danke fürs Mitnehmen. Mir gefällt es so gut, dass ich die nächste Runde auch bezahle.“

„Unsinn“, entgegnete Penny. „Wir müssen doch nichts mehr bezahlen. Dafür sind die Männer doch da. Sieh mal den Kerl mit dem schwarzen Hut dort drüben.“

Der Mann wirkte von Kopf bis Fuß verkleidet. Wahrscheinlich ein Zahnarzt, dachte Kate. Aber sie wollte Penny nicht kränken. „Er sieht sehr gut aus, Penny.“

„Er lächelt uns zu.“ Penny erwiderte das Lächeln, und der „Zahnarzt“ kam herübergeschlendert.

„Wie geht’s, Ladies?“ Er berührte die Hutkrempe. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken bestellen?“

„Sicher“, sagte Penny. „Das ist meine Freundin Kate.“

„Ich verschwinde schon.“ Kate suchte sich einen anderen Höcker, der etwas weiter weg stand, und der Mann lächelte ihr dankbar zu.

Wie kommt es, dachte Kate, dass Jake und Penny mit ihren Cowboyhüten so gut aussehen, während dieser Mann damit so lächerlich wirkt? Noch dazu trägt er Sporen. Als sie den Hocker noch ein Stück weiter zog, stieß sie gegen jemanden. Sie fuhr herum, um sich zu entschuldigen und verharrte unwillkürlich. Der Mann war groß, blond und unglaublich gut aussehend.

Aber hallo, dachte sie. Vergiss deinen Plan und konzentriere dich auf dieses Prachtexemplar hier.

„Willst du was zu trinken, Kleine?“ fragte er sie lallend und zog sie am Arm.

Ihre Begeisterung war wie weggeblasen. Ein Grabscher und obendrein betrunken! „Nein, danke.“ Sie lächelte und versuchte, sich zurückzuziehen, aber er hielt sie fest.

„Lass gut sein, Brad“, sagte Nancy hinter der Bar. „Sie ist nicht an dir interessiert.“

„Das ändert sich. Gib ihr etwas Zeit.“ Brad versuchte, Kate zu küssen, aber sie duckte sich, und er erwischte nur ihr Ohr. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Nancy jemandem ein Zeichen gab.

Ben bemerkte Nancys Zeichen und erkannte, was sich anbahnte. „Brad versucht sein Glück bei deinem Mädchen. Willst du sie retten?“

Jake blickte auf. „Nein.“ Aufseufzend legte er den Queue weg. „Aber ich werde Brad retten. Er ist angetrunken und hat nicht verdient, was immer Kate ihm auch antun wird.“





Jennifer Crusie's books