Ein Mann fur alle Lagen

2. KAPITEL


Als sie durch Toby’s Corners fuhr, war Kate erstaunt darüber, wie schön das Städtchen war. Während der Herfahrt hatte sie sich immer wieder das Schlimmste ausgemalt und darüber gegrübelt, wieso sie sich von Jessie dazu hatte überreden lassen, sich sogar noch aufreizende Unterwäsche zu kaufen. Der Anblick des Ortes riss sie aus diesen Gedanken.

Die schattigen alten Straßen waren von dicken Bäumen gesäumt, und die alten Ladenfronten waren erhalten und neu gestrichen worden. Eisenwaren, Lebensmittel, ein Imbiss und andere Geschäfte, die sicher seit Generationen denselben Familien gehörten. Kate fühlte sich wie in einem Bilderbuch.

In so einer Kleinstadt wäre ich gern aufgewachsen, dachte sie. Es wirkt so anheimelnd, und vielleicht wäre mein Leben anders verlaufen, wenn ich in Toby’s Corners geboren wäre.

Energisch verdrängte sie diese Gedanken. Reiß dich zusammen, sagte sie sich. Du hast ein Ziel und einen Plan.

Sie bog von der Hauptstraße ab und folgte einer gewundenen Straße durch den Wald. Das Sonnenlicht drang gedämpft durch das Blätterdach, und es roch nach Holz. Unwillkürlich erschauerte Kate. Irgendwie ist es hier aufregend, dachte sie. Und ich werde meinem Plan folgen. Ohne Angst, genau wie Jessie. Vielleicht gehe ich morgen ganz früh sogar nackt im See baden.

Dann fuhr sie um die letzte Kurve und vergaß ihre Vorsätze sofort.

Das Freizeitgelände lag vor ihr und wirkte viel größer als im Katalog. Zahllose kleine Apartmenthäuser waren in unterschiedlichen Winkeln angeordnet, und jedes Häuschen besaß eine eigene Sonnenterrasse. O nein, dachte Kate, das ist mir alles viel zu groß.

Noch dazu liefen hier unzählige Menschen herum. Wenn sie hier nackt badete, würde sie am Tag darauf in jeder Zeitung der Gegend erscheinen. Sie sah die Schlagzeilen schon vor sich.

Aufseufzend hielt sie neben dem Hoteleingang an.

Ich hasse es, dachte sie, stieg aus und betrat die Eingangshalle. Einer der vielen gut aussehenden vornehmen Männer, die laut Jessie hier überall waren, hielt ihr lächelnd die Tür auf. Eins nach dem anderen, dachte Kate und ging an ihm vorbei.

Der Hotelmanager begrüßte sie mit einem Lächeln. „Willkommen in ‘The Cabins’, Miss Svenson. Ich bin Will Templeton und freue mich, dass Sie hier sind.“

Fast hätte Kate ihn gefragt, wieso. Will Templeton war groß, gebräunt und gut aussehend, doch bestimmt freute er sich weniger über Kate als über die Kreditkarte, die sie dabei hatte.

„Sicher wollen Sie meine Kreditkarte sehen“, sagte sie.

„Nein, nein, das ist alles schon geregelt. Sie wohnen in Nummer 9a. An den Tennisplätzen entlang und hinter dem Crocketplatz. Sie können Ihren Wagen direkt hinter dem Häuschen abstellen.“

Es hätte schlimmer kommen können. Wenigstens musste sie nicht hier im Hotel unter all diesen vielen Menschen wohnen.

Hinter ihr ertönte eine helle Stimme. „Sagten Sie gerade 9a?“

Der Manager lächelte. „Das stimmt, Miss Craft.“ Kate drehte sich um.

Miss Craft war jung, blond und sah wie eine Barbiepuppe aus. Ihre Augen waren hellblau, sie besaß eine kleine Stupsnase, und ihre vollen Lippen schienen ständig zu lächeln. Sie sah aus wie neunzehn.

Toll, dachte Kate. Das ist also die Konkurrenz. Die trägt bestimmt gar keine Unterwäsche.

„Ich bin Penny Craft“, sagte die Barbiepuppe und streckte die Hand aus. „Ich wohne direkt neben Ihnen in 9b.“

„Oh, schön“, erwiderte Kate.

„Könnten Sie mich, wenn es Ihnen nichts ausmacht, mitnehmen? Mit meinem Gepäck? Die Kofferjungen hier sind schwer beschäftigt …“

„Kein Problem“, sagte Kate. „Mit Vergnügen.“ Sie ließ sich von Will den Schlüssel geben und versuchte, nicht auf ihn zu achten, als er hinter ihnen herrief: „Vergessen Sie nicht, dass heute Abend unsere Hawaii–Party steigt, Ladies.“

„Bestimmt nicht“, rief Penny Craft zurück.

Gepäck sagt viel über die Menschen, stellte Kate fest, als sie Penny zu ihrem Wagen brachte. Sie selbst hatte einen grauen Koffer und eine Aktentasche bei sich. Penny schleppte fünf pinkfarbene Gepäckstücke mit sich. Rate mal, wer von uns beiden den größeren Spaß hat? dachte Kate, als sie das Gepäck verstaute. Dann fuhr sie langsam zu dem Ferienhaus, wobei sie auf die vielen Leute Rücksicht nehmen musste, die sich anscheinend so blendend amüsierten, dass sie hier am liebsten überfahren werden wollten.

„Zu viele Menschen“, stellte Kate fest.

„Oh nein“, widersprach Penny und winkte jemandem zu. „Ich liebe Menschen.“

„Das habe ich mir schon gedacht.“

Penny lächelte ihr zu. „Bei den Ferienhäuschen soll es viel ruhiger sein.“

Neugierig sah Kate sie an. „Ich hätte gedacht, dass Sie lieber im Hotel wohnen.“

„Nein.“ Penny winkte wieder. „Ich will so viele Männer wie möglich treffen, und Sie wissen ja, wie neugierig die Leute in einem Hotel sind.“

„Was meinen Sie mit treffen’?“

„Ach, Sie wissen schon. Tanzen, reden, lachen … So viel Spaß wie möglich“, sagte Penny fröhlich. „Nächsten Monat heirate ich. Das hier ist meine letzte Chance.“

„Ah so“, sagte Kate nach einer Pause. „Na, dann viel Glück.“

„Danke.“ Penny sah sie an. „Wieso sind Sie hier?“

Gute Frage. Und alles Jessies Schuld. „Ach, zum Tanzen, Reden, Lachen.“ Kate musterte düster die ganzen Leute rings umher. „Vielleicht auch, um nackt im Pool zu schwimmen.“

„Ist das erlaubt?“

Kate schloss die Augen. Penny war dumm wie Bohnenstroh. „Nur wenn Sie ganz früh aufstehen“, sagte sie.

„Ich verstehe. Ich dachte schon, Sie schreiben vielleicht für einen Reiseführer oder eine Zeitung.“

„Einen Reiseführer? Wie kommen Sie darauf?“

„Na, wieso sonst sollte jemand, der so sehr nach Geschäftsfrau aussieht wie Sie, hierher kommen?“

„Vielleicht, um Männer zu treffen?“ schlug Kate vor.

„Ja, sicher.“ Penny kicherte.

Als sie endlich den Weg zu dem richtigen Häuschen gefunden hatten, stellte Kate erleichtert fest, dass es tatsächlich sehr abgelegen war. Und von innen gefiel es ihr noch besser. Das Holz getäfelte Schlafzimmer war klein, aber gemütlich. Kate legte ihre Aktentasche weg und sah sich um. Sie brauchte Erholung, und die würde sie hier vielleicht bekommen. Auch wenn sie keinen interessanten Mann aufgabelte … Halt. Natürlich würde sie jemanden kennen lernen, das war schließlich ihr Plan. Entschlossen ging sie, um den Koffer zu holen.

Als sie Pennys Gepäck auslud, kam ein Mann auf sie zugeschlendert. „Brauchen Sie Hilfe?“ erkundigte er sich, und Kate blickte zu ihm auf. Er war groß, breitschultrig, trug ein kariertes Hemd und Jeans und bewegte sich langsam. Sein dichtes schwarzes Haar war etwas zu lang, und unter seiner Nase wucherte ein Schnurrbart. Der Gipfel aber war der große helle Cowboyhut. Schrecklich.

Dann lächelte er sie an, und fast hätte Kate spontan zurückgelächelt. Auf keinen Fall, ermahnte sie sich. Du wirst dich doch nicht mit so einem Kerl einlassen. Denk an deinen Plan. Ein Cowboy passt da wirklich schlecht hinein. Vergiss den Typ.

„Ich schaffe das schon.“ Sie drehte sich um, um ihren Koffer aus dem Wagen zu hieven. „Danke.“

„Hallo!“

Sie drehten sich beide um.

Penny stand auf der obersten Stufe, anscheinend außer sich vor Freude, einen Mann zu sehen.

„Penny, dies ist…“ Kate sah den Mann an.

„Jake.“ Er berührte die Hutkrempe und nickte Penny zu.

„Jake, das ist Penny“, sagte Kate. „Jake hat seine Hilfe beim Koffertragen angeboten.“

„Wie reizend“, hauchte Penny. „Ich nehme Ihre Hilfe liebend gern in Anspruch. Die pinkfarbenen Sachen gehören mir.“

„Kommt sofort.“ Jake nahm alle Koffer von Penny gleichzeitig hoch.

„Sie sind ja unglaublich stark“, staunte Penny strahlend.

„Nein. Ich bin nur zu faul, um zweimal zu gehen.“ Er schlenderte die Stufen hinauf.

Na, da bahnt sich ja eine wunderbare Freundschaft an, dachte Kate und trug ihren Koffer ins Häuschen.

Kurz darauf ging Jake kopfschüttelnd den Weg zurück. Als er die beiden blonden Frauen zuerst gesehen hatte, hatte er Penny und Kate für Schwestern gehalten. Nach dem zweiten Blick hatte er beschlossen, dass die beiden nicht zusammengehörten. Aber jetzt konnte er kaum glauben, dass die beiden auf demselben Planeten lebten.

Penny war die Traumfrau jedes Mannes, nett, freundlich und offen. Es fiel nicht schwer, nett zu ihr zu sein. Allerdings wurde es nach wenigen Minuten anstrengend, ihr zuzuhören. Anderen Männern war es sicher egal, was sie sagte, solange sie sie nur ansehen konnten. Anscheinend wurde er alt. Egal, was er zu Will gesagt hatte, seine Traumfrau war Penny nicht.

Kate war hingegen sein persönlicher Alptraum. Wer fuhr schon im Seidenkostüm in den Urlaub? Und ihr blondes Haar hatte sie so straff zu einem Knoten gebunden, dass ihre Augenwinkel nach hinten gezogen wurden. Mit einem einzigen prüfenden Blick aus diesen eisblauen Augen hatte sie ihn beurteilt und verworfen. „Danke“, hatte sie gesagt und war gegangen. In diesem Moment musste die Temperatur um ein paar Grad gesunken sein.

Sie erinnerte ihn an Valerie und seine Ex-Frau Tiffany. Frauen wie sie bekamen immer, was sie wollten, egal, wer sich ihnen in den Weg stellte. Wahrscheinlich war Kate hier, um ihr Golfspiel zu verbessern, sich eine schicke Bräune zuzulegen, sich einen Ehemann zu schnappen und ein paar Tipps für die Börse zu bekommen. Mit so einer Frau wollte er nichts zu tun haben. Zum Glück hatte sie deutlich gezeigt, dass auch sie nicht an ihm interessiert war.

Vergiss sie, sagte Jake sich und ging, um bei den Vorbereitungen für die Hawaii-Party zu helfen.

Um sechs wurde Kate von Penny abgeholt. Nur so lernst du Männer kennen, sagte sie sich immer wieder. Jessie hat Recht. Entspann dich, und benimm dich wie eine Frau, die nicht vierundzwanzig Stunden am Tag ans Business denkt.

Penny trug über einem winzigen gelben Bikini einen blauen geblümten Sarong. In ihren großen blauen Ohrringen saßen kleine Papageien mit bunten Federn. Aber Penny wirkte selbst in dieser seltsamen Aufmachung aufrichtig glücklich.

So etwas könnte ich niemals tragen, überlegte Kate. Selbst wenn ich sturzbetrunken wäre, würde ich mich nicht so anziehen. Habe ich deshalb so selten Spaß?

„Schlüpfen Sie in Ihre Badesachen“, sagte Penny. „Vielleicht werden wir in den Pool geworfen.“

„Na hoffentlich“, erwiderte Kate. Ihr schwarzer Badeanzug war etwas altmodisch, aber noch kaum getragen. Darüber zog sie weiße Shorts und ein weißes Hemd, das sie vor dem Bauch verknotete. Dazu trug sie zierliche goldene Ohrringe und eine schlichte Goldkette.

„Das ist alles?“ fragte Penny.

„Fertig.“

„Ziemlich schlicht.“

„So bin ich nun mal“, erwiderte Kate. „Schlicht. Gehen wir.“

Penny zögerte noch. „Wollen Sie Ihr Haar nicht offen tragen? Wir gehen doch zu einer Party.“

„Nein“, sagte Kate gelassen. „Ich mag es lieber hoch gesteckt.“

„Tja, Sie sehen nicht sehr unternehmungslustig aus.“

„Das wirkt nur so. Ich bin voller Tatendrang.“

„Na gut.“ Penny schüttelte den Kopf. „Vielleicht helfen ein paar Drinks.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen.“

Die Hawaii-Party war noch schlimmer, als Kate vermutet hatte. Unzählige Leute standen in Gruppen um das Hotel und waren zum Teil schon angetrunken. Alle trugen Hawaiihemden oder Sarongs. An großen runden Holztischen lachten die Leute lauthals über irgendwelche Witze, und betont heitere Pärchen tanzten ausgelassen zu Musik von den Beach Boys. Viele drängelten sich vor einem Grillspieß, um verbrannte Fleischstücke von dem armen toten Tier zu bekommen, das über dem Feuer gedreht wurde. Es roch nach Rauch und Sonnencreme.

„Ist es nicht herrlich?“ Penny strahlte begeistert.

Entsetzt blickte Kate sich um. „Woher kommen die alle? Die können doch nicht alle hier im Hotel wohnen.“

„Von überall her.“ Penny winkte jemandem. „Im Sommer findet hier jeden Monat so eine Fete statt. Ist es nicht toll? Sehen Sie den großen Mann mit dem dunklen Haar beim Schweinegrill?“

„War das mal ein Schwein?“

„Das ist Will. Erinnern Sie sich? Am Empfang? Ihm gehört das Hotel.“

„Schnappen Sie sich ihn“, sagte Kate und sah sich nach einer Bar um. Es musste eine geben. Kein Mensch führte sich so auf, wenn er nicht betrunken war.

„Der dunkle Typ im roten Hemd ist Eric Allingham. Steinreich.“ Wieder winkte Penny jemandem zu. „Überall schwerreiche Männer.“

„Dann mal los.“ Wo war bloß die Bar?

„Nicht mein Typ.“

„Sie sind nicht an Geld interessiert?“

„Weshalb sollte ich?“ fragte Penny zurück. „Ich heirate bald.“

Kate stellte fest, dass Penny ganz vernünftig klang, wenn man davon ausging, dass es normal war, sich einen Monat vor der Hochzeit mit allen möglichen Männern zu treffen. „Tut mir Leid“, entschuldigte sie sich. „Ich habe nicht nachgedacht.“

„Der blonde Mann in dem grünen Hemd ist aber niedlich. Er heißt Lance oder so.“

„Woher wissen Sie das alles?“

„Ach, ich habe mich in der Hotelhalle unterhalten, während ich auf einen Gepäckträger wartete. Die Leute hier sind wirklich nett.“

„Prima“, antwortete Kate. „Ich schätze, Sie wissen auch, wo hier heute Abend die Bar aufgebaut ist.“

„Draußen beim Pool.“

„Zeigen Sie ihn mir bitte.“

Der Pool war von Hecken umschlossen. Im Wasser und in den blauweißen Kacheln spiegelte sich das Licht der kleinen Lampions. Die lange schmale Bar war mit Grasmatten verkleidet, und der rothaarige junge Barkeeper hatte sich eine Blumenkette um den Hals gehängt. Er bediente lauter Männer um die Vierzig, die Penny begrüßten, als sei sie ein großer trockener Martini. Sie war sofort umringt, während Kate darauf wartete, bedient zu werden.

„Was soll’s sein, Madam?“

„Penny.“ Kate zog sie mit stählernem Griff an sich. „Darf ich Ihnen den Barkeeper vorstellen? Wie heißen Sie?“

„Mark.“ Der Mann lächelte Penny herzlich an.

„Das ist Penny, Mark“, sagte Kate. „Bringen Sie mir einen doppelten Scotch. Was möchten Sie, Penny?“

„Sie kann von mir alles bekommen“, stellte Mark fest.

„Wie reizend“, flirtete Penny wild drauf los.

Und schon wieder bahnt sich ein neues Glück an, dachte Kate. Vielleicht sollte ich von ihr lernen.

Sie ging mit ihrem Drink zum Pool, zog die Schuhe aus, setzte sich und ließ die Füße ins Wasser baumeln. Ich führe mich schrecklich auf, dachte sie nach. Aber im Gegensatz zu Penny will ich das hier alles nicht wirklich. Obwohl ich nicht mehr allein sein möchte, habe ich auch keine Lust, mich eiskalt auf die Suche nach dem Märchenprinzen zu begeben.

Noch während sie darüber nachdachte, wie ein modernes Märchenschloss aussehen mochte, setzte sich ein übergewichtiger angetrunkener Mann neben sie. Er trug gleich sechs Blumenkränze.

„Hallo, schöne Frau, so ganz allein?“

„Hallo.“ Kate rückte ein Stück weg.

„Ich bin Frank“, stellte er sich vor und legte ihr einen Arm um die Schulter.

„Freut mich für Sie.“ Entschlossen schob sie seinen Arm weg. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie, wie Mark jemandem ein Zeichen gab.

„Ich habe Sie schon überall gesucht, Kleine.“

„Weshalb?“ fragte Kate. „Kennen wir uns?“

„Nur aus meinen Träumen.“

„Dann wird es Zeit für neue Träume.“

Kate stand auf und wollte ihn von sich stoßen, doch Frank hielt ihre Hand fest und stand auch auf. „Wissen Sie, was Sie brauchen?“ Er lachte schallend. „Eine Blumenkette. Bedanken können Sie sich dafür heute Nacht bei mir.“ Er erwürgte sich fast bei dem Versuch, eine seiner Ketten abzunehmen.

„Nein.“ Kate riss sich los und wandte sich ab. „Kein Interesse.“

„He, Sie lassen mich doch nicht etwa abblitzen?“ Frank hielt sie am Arm fest.

„Doch. So oft Sie wollen“, versicherte Kate ihm und versuchte, seinen Griff zu lösen.

„Prima.“ Er zog sie dichter an sich. „Ich mag widerspenstige Frauen.“

Voller Verachtung blickte Kate ihm in die Augen.

Jake bemerkte Marks Zeichen und kam rechtzeitig an den Pool, um zu sehen, wie Frank Kate an sich zog.

Na, toll. Jetzt würde sie sich bestimmt bei Will über die anderen Gäste beschweren. Als Jake sah, wie sie versuchte, Frank abzuwimmeln, musste er zugeben, dass sie sich zu Recht beschweren konnte. Aufseufzend ging er zu den beiden hinüber und hörte Frank gerade sagen, dass er widerspenstige Frauen möge.

„Wie würde es Ihnen gefallen, von morgen an im Sopran zu singen“, fragte Kate, und Jake griff schnell ein.

„Wie läuft’s, Frank?“ Er zog ihn an den Schultern von Kate weg.

„Jake, alter Kumpel.“ Frank lehnte sich an ihn. „Wo eine schöne Frau ist, da tauchst natürlich du auf.“ Er wurde behutsam von Jake in Richtung Grill gedreht.

„Da drüben gibt es viele schöne Frauen, Frank.“

„Tut mir Leid, Jake. Ich wusste nicht, dass diese hier zu dir gehört.“ Frank grinste Kate an und torkelte davon.

„Vielen Dank“, sagte Kate. „Sie wissen, wie Sie die Leute zu behandeln haben.“

„Na ja, wir wollen keinen Streit. Außerdem hatte ich Angst, Sie würden ihm wehtun.“

„Das hatte ich vor.“ Kate nickte. „Ihre Methode war freundlicher.“ Dankbar lächelte sie ihn an, und Jake war überrascht, wie nett sie auf einmal wirkte. Er trat rasch einen Schritt zurück.

Kate blickte Frank hinterher. „Ich bin froh, dass er geht, aber so ist es bei mir immer. Die Männer verlassen mich.“

„Wenn Sie wollen, hole ich Frank gern zurück“, bot Jake an.

„Nein, nein.“ Kate schüttelte tapfer den Kopf. „Ich bleibe hier sitzen und kümmere mich um meinen Scotch.“

„Kate“, rief Penny zu ihr herüber. „Kommen Sie, und lernen Sie diese tollen Kerle hier kennen.“

„Na, das klingt doch reizend.“ Jake lächelte spöttisch. Offenbar hatte er ihren Gesichtsausdruck durchschaut.

„Wunderbar“, sagte sie tonlos. „Ich liebe tolle Kerle.“

Jake sah Kate hinterher, die zu Penny und den zwei Männern hinüberging. Penny war zwar nett, aber sie suchte sich die Männer nicht kritisch genug aus. Kate dagegen war zu wählerisch. Für sie würde sicher niemand gut genug sein. Und wenn sie jemanden fand, würde sie bestimmt endlos an ihm herummäkeln, um ihn so zu formen, wie sie ihn haben wollte.

Jake schüttelte den Kopf, um dieses Bild loszuwerden. Kate war nicht sein Problem. Er sollte sich lieber um die Party kümmern.

Penny stellte Kate Chad und Lance vor, die Partner in einer Immobilienfirma in Ohio waren. Und kurze Zeit später gestand Kate sich ein, dass die beiden Männer eigentlich ganz in Ordnung waren. Sie gaben nur ein bisschen zu viel an, und Lance legte ihr etwas zu vertraulich den Arm um die Schulter.

Doch Kate beschloss, ihrem Plan zu folgen und Lance näher kennen zu lernen. Vielleicht verbarg er mit diesem seltsamen Benehmen nur seine Unsicherheit und brauchte jemanden, der ihn verstand und nett zu ihm war.

Und ich, schwor sie sich, werde zu jedem nett sein und mich nicht länger so überheblich verhalten.

Sie gab ihr Bestes und willigte ein, mit Lance essen zu gehen. Dabei versuchte sie, wenigstens halb so begeistert zu klingen wie Penny, als diese Chads Einladung annahm. Doch nach einer halben Stunde, in der sie immer wieder Lance’ Hände von sich weggeschoben hatte, war Kate mit ihrer Geduld am Ende.

„Ich komme sofort zurück“, sagte sie lächelnd.

„Ich komme mit“, entgegnete Lance und griff wieder nach ihr.

„Nein, nicht nötig.“ Kate hob grüßend ihr Glas, drehte sich um und verschwand in der Menge. Sie blieb erst stehen, als eine geschäftstüchtig wirkende Blondine sie an der Hand festhielt.

„Sie sind Kate Svenson“, sagte sie und schüttelte die Hand. „Ich bin Valerie Borden, Leiterin der Gästebetreuung.“

„Hallo, Miss Borden“, antwortete Kate und blickte sich über die Schulter hinweg nach Lance um.

„Nennen Sie mich Valerie. Wir nennen uns hier in ‚The Cabins’ alle beim Vornamen.“

Kate blickte Valerie zum ersten Mal prüfend an.

Sie war groß, blond, gepflegt und beherrscht. Kate hatte den Eindruck, in einen Spiegel zu sehen, mit dem einzigen Unterschied, dass Valerie lächelte.

„Es freut uns alle, dass Sie hier sind“, sagte Valerie. „Ich möchte mich gern einmal mit Ihnen zusammensetzen und reden. Sicher haben wir eine Menge gemeinsam.“

„Glauben Sie?“

„Ganz bestimmt. Aber jetzt wollen wir feiern. Niemand soll heute Abend allein sein.“ Valerie hakte sich bei Kate ein und führte sie zu einer Gruppe am Pool. „Lassen Sie mich Ihnen ein paar Leute vorstellen. Möchten Sie jemand Bestimmten kennen lernen?“

Kate sah ein, dass es zwecklos war, sich Valerie zu widersetzen. „Einen großen, gebildeten, reichen Geschäftsmann“, erwiderte sie gemäß ihrer Wunschliste.

Diese Offenheit verblüffte Valerie, doch sie hatte sich sofort wieder unter Kontrolle. „In Ordnung.“

Mit Rick unterhielt Kate sich über die Ferienanlage. Der große, gebildete Besitzer einer gut gehenden Firma für Anlagen zum Schutz von Luft und Gewässern entsprach allen Punkten, die sie Valerie genannt hatte. Von Eric erfuhr Kate viel über Polopferde. Eric war groß, gebildet und besaß eine Unternehmensberatung wie ihr Vater. Zusammen mit Donald, einem großen, gebildeten Börsenmakler, diskutierte Kate über die Wirtschaftslage, und mit Peter, einem großen, gebildeten Werbefachmann, sprach sie über Golf. Peter rang ihr das Versprechen ab, am nächsten Nachmittag mit ihm Golf zu spielen. Schließlich traf Kate wieder auf den großen, nicht ganz so gebildet wie die anderen Kandidaten wirkenden Lance, der die Immobilienfirma besaß. Leider hatte Lance in der Zwischenzeit noch mehr getrunken und war zudringlicher denn je.

Lance wurde allmählich fett, aber sein Gesicht war noch gut aussehend, abgesehen von den etwas zu kleinen und zu bösartig dreinblickenden Augen. Er liebte es, seine Körpergröße auszuspielen, und seine Hände waren scheinbar überall. Als sie beide am Schweinegrill anstanden, wanderte seine Hand über ihre Schulter und ihren Arm zu ihrer Taille. Als er die Hand weiter abwärts gleiten ließ, reichte Kate ihm einen Teller.

„Könnten Sie den für mich halten?“ fragte sie. „Ich hole die Drinks.“

Sie aßen mit Penny und Chad an einem der runden Holztische, und der Abend zog sich endlos hin, während die Leute rings umher immer lauter lachten und johlten.

Lance sagte etwas, und Penny lachte. Also lachte Kate auch, wenn auch leicht zeitversetzt. Das fiel Lance offenbar nicht auf.

„Lance, Sie sind so lustig“, sagte Penny. „Finden Sie nicht auch, Kate?“

„Doch, doch. Möchte noch jemand einen Scotch?“ Sie schlenderte wieder zur Poolbar, bevor jemand ihr folgen konnte.

„Hallo, Mark.“ Sie lehnte sich über den Tresen.

„Hallo, Kate.“ Der Barkeeper lachte. „Wie läuft’s?“

„Fragen Sie nicht.“

Mark beugte sich vor. „Was wollen Sie denn mit diesem Lance? Der macht Ihnen doch nur Ärger.“

„Das ist eine lange Geschichte. Krieg’ ich noch einen Scotch?“

„Sicher?“

„Kate, Liebling“, ertönte Lance’ Stimme. „Ich konnte Sie nirgends finden.“

„Ganz sicher“, sagte Kate zu Mark, der ihr kopfschüttelnd einschenkte.

Mit dem Scotch ging Kate zum Pool, und Lance folgte ihr mit ausgestreckten Armen. Kate wunderte sich, als Mark wieder jemandem ein Zeichen gab, doch dann hörte sie Lance zu und wich immer wieder seinen Händen aus. Schließlich gab sie auf. Es hatte keinen Sinn. Auch wenn sie noch soviel Scotch trank, würde sie Lance niemals heiraten.

Sie goss den Drink in den Pool.

„Was machen Sie denn?“ fragte Lance verdutzt.

„Ich werde nüchtern.“

„Oh, tun Sie das nicht, Kleines.“ Er legte ihr die Hand auf den Po.

„Hände weg, Lance.“

Er fuhr zu ihrer Brust. „Komm schon, Süße.“

„Es haben schon andere deswegen ihre Hand verloren, Lance“, sagte sie und schob seinen Arm weg.

„Ich will dich, Kate.“ Er legte Besitz ergreifend die Hand auf ihren Po.

„Aber ich will Sie nicht, Lance“, erwiderte sie und stieß ihn in den Pool.

„Das hätten Sie nicht tun sollen“, bemerkte Jake hinter ihr.

Sie beobachteten Lance, der noch nicht wieder an die Wasseroberfläche gekommen war.

„Wo kommen Sie denn her?“ fragte Kate, ohne Lance aus den Augen zu lassen.

„Mark holt mich, wenn es Schwierigkeiten gibt. Ihretwegen hat er sich heute schon zweimal Sorgen gemacht. Erst Frank, jetzt Lance.“

„Mark ist ein sehr netter Kerl.“

„Wir haben es beide genossen, Sie und Lance zu beobachten.“

„Da wir gerade von ihm sprechen, wird er ertrinken?“

„Geben Sie ihm einen Augenblick“, sagte Jake. „Er wird gleich auftauchen. Sonst helfe ich ihm.“ Jake hockte sich am Poolrand hin. „Na also.“

Hustend tauchte Lance auf, und Jake hielt ihn fest. Dann holte Lance tief Luft und musterte Kate mit finsterem Blick. „Sie miese kleine Nutte!“ Jake drückte seinen Kopf wieder unter Wasser und zog ihn dann am Kragen hoch. „Tut mir Leid, Lance. Ich bin abgerutscht.“ Wortlos half er dem Wasser spuckenden Lance heraus.

„Tja, es war ein reizender Abend, aber ich muss jetzt gehen.“ Kate lächelte Jake zu. „Noch mal vielen Dank. Gute Nacht.“ Sie winkte Mark zu und ging weg.

„Ich glaube, sie mag Sie nicht, Lance“, sagte Jake. Anscheinend weiß sie einen so großartigen Kerl wie Sie nicht zu schätzen.“ Obwohl sie so kühl wirkte, bewunderte er Kate für ihr selbstbewusstes Verhalten. Sie hatte Lance, ohne zu zögern, ins Wasser gestoßen und dann noch gewartet, damit er nicht ertrank. Doch dann riss er sich aus diesen Gedanken. Auf so eine Frau war er schon einmal hereingefallen, und das war ein großer Fehler gewesen. Denselben Fehler beging sein Bruder gerade mit Valerie. Sei nicht dumm, Jake, sagte er sich und führte Lance ins Hotel.

Die Leuchten neben dem Bett verliehen dem Raum etwas Anheimelndes, und allmählich entspannte Kate sich.

So darf es nicht weitergehen, überlegte sie. Ich muss einen Mann finden, von dem ich mich auch berühren lassen mag. Lance war eine Niete. Morgen spiele ich mit Peter Golf und verliebe mich in ihn. Dann heiraten wir, sind glücklich miteinander und spielen in unserer Freizeit zusammen Golf.

Irgendwie erschien ihr das alles jedoch nicht so reizvoll, wie sie es sich wünschte, und während sie einschlief, zweifelte sie an ihrem Plan. Dieser Zweifel folgte ihr in die Träume, in denen dicke blonde Männer ihr Blumenketten umhängen wollten. Gleichzeitig suchte sie nach jemand anderem, doch als sie aufwachte, wusste sie nicht mehr, nach wem. Nicht mal in meinen Träumen klappt es mit der Partnersuche, dachte sie und stand auf. Zurück zum Plan!

Dummerweise fand sie ihren Plan heute noch weniger reizvoll als am Tag zuvor. Sie wollte sich Hals über Kopf verlieben, sodass sie es kaum ertragen konnte. Nur so eine Liebe würde ewig halten.

Doch ihre Vernunft sagte ihr, dass sie sich trotz allem an ihrem ursprünglichen Vorhaben festhalten sollte. Nur zwei Menschen mit vielen Gemeinsamkeiten, derselben Herkunft und denselben Zielen konnten eine glückliche Zukunft haben.

Triff Leute, sagte sie sich. Irgendwann wird es schon geschehen, genau wie Jessie es prophezeit hat.

Sie zog die neuen Dessous an, die Jessie für sie ausgesucht hatte, und darüber trug sie eine beigefarbene Hose und eine ärmellose weiße Bluse. Als Schmuck legte sie wieder die zierlichen goldenen Ohrringe an. Das Haar steckte sie zu einem lockeren Knoten zusammen.

Der Himmel war strahlend blau, und die Augusthitze wurde durch einen leichten Wind gelindert. Überall zwitscherten Vögel, und Kate schlenderte gut gelaunt und summend zum Hotel, um zu frühstücken.

Valerie fing sie ab.

„Wir haben wundervolle Unternehmungen geplant“, sagte Valerie und zog sie zu einer Gruppe von Spätaufstehern. Offensichtlich gab man sich in dem Hotel große Mühe, die Gäste beschäftigt zu halten. Obwohl Kate sich eigentlich in Unternehmungen stürzen wollte, zog sie sich doch abgeschreckt zurück.

„Nicht jetzt, Valerie“, meinte sie ausweichend.

„Tennis, Crocket, Golf, Reiten, Gymnastik im Pool, was darf es sein?“ Valerie zog sie zurück in die Gruppe.

Lieber sterben, dachte Kate.

„Was haben Sie vor, Kate?“ Frank stand in einem gestreiften T–Shirt vor ihr. „Wie wär’s mit Schwimmen? Ich würde Sie gern mal im Badeanzug sehen.“ Dabei zog er sie mit den Blicken förmlich aus.

„Das glaube ich nicht.“ Kate trat einen Schritt zurück. „Danke.“

Sie sah Jake, der mit Angelruten, einer Kühltasche und ein paar Plastikkissen die Auffahrt entlangging. Er trug eine kurze Hose, ein altes verwaschenes T-Shirt und seinen Cowboyhut. Mit einem kurzen Nicken ging er an ihr vorbei und verschwand in Richtung Wald.

„Aber irgendetwas müssen Sie tun.“ Valerie blickte sie erwartungsvoll an. „Sie können nicht einfach herumsitzen.“

„Das werde ich bestimmt nicht.“ Kate deutete verzweifelt auf Jake. „Ich gehe mit Jake fischen.“ Sie drehte sich um und ging rasch hinter ihm her, um ihn einzuholen.

„Sie müssen mich nicht zum Angeln mitnehmen“, sagte sie erklärend, weil er alles mitgehört hatte. „Lassen Sie mich nur bei Ihnen bleiben, bis wir sicher im Wald sind.“

Eine Weile lang schwieg er und reichte ihr dann ohne einen Blick die Angelruten. „Das Boot ist groß genug für zwei.“

Kate zögerte kurz, doch als sie sich umwandte, stellte sie fest, dass Valerie sie immer noch beobachtete.

Dabei gebe ich sehr viel Geld für das alles hier aus, dachte sie. Wie kommt es bloß, dass ich immer wieder in solche Zwickmühlen gerate. Dafür wird Jessie büßen. Aufseufzend wandte sie sich um, um Jake in den Wald zu folgen.





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