Ein Mann fur alle Lagen

11. KAPITEL


Jake saß auf der hinteren Veranda des Anwesens seines Bruders. Er hatte die Füße aufs Geländer gelegt und beobachtete den Sonnenuntergang. Doch die innere Zufriedenheit wollte sich einfach nicht einstellen. Schon bevor er Kate kennen gelernt hatte, hatte er oft das Gefühl gehabt, ihm fehle etwas in seinem Leben. Aber seit sie abgereist war – einen Monat war das jetzt her – hatte sich das vage Unbehagen in fortwährende Gereiztheit verwandelt. Die Leute gingen ihm so gut wie möglich aus dem Weg, und sogar Ben hatte die Geduld mit ihm verloren.

„Wenn du unglücklich bist, dann tu etwas dagegen“, hatte er am Vorabend gesagt und den Queue weggelegt. Aber hör auf, dich deswegen mit uns anzulegen.“

Daraufhin hatte Jake seinen Queue auf den Tisch geworfen und war aus der Bar gestürmt.

Nun saß er hier und versuchte, sich einzureden, dass er froh sein konnte, keinerlei Verpflichtungen und keine Sorgen zu haben.

Will kam mit zwei Bechern Kaffee zu ihm hinaus. „Du benimmst dich absolut widerwärtig. Ich kann es nicht glauben, dass du so taktlos zu Mrs. Dickerson warst.“

„Ich habe lediglich gesagt, dass Cowboyhüte Frauen nicht stehen.“ Jake nahm einen der Becher.

„Aber sie trug einen Cowboyhut.“

„Wirklich?“ Jake runzelte die Stirn. „Mist. Das ist mir nicht aufgefallen.“

„Er war grellrot.“ Will zögerte einen Moment, bevor er weiter sprach. „Es ist wegen Kate, stimmt’s? Seit sie weg ist, führst du dich wie ein Monster auf. Ruf sie an.“

„Es liegt nicht an Kate“, wehrte Jake ab. „Na gut, zum Teil schon, aber nicht nur.“ Er schüttelte den Kopf. „Irgendetwas stimmte schon nicht, bevor sie hier war. Sie hat es nur noch schlimmer gemacht.“

„Was ist es dann?“ Will setzte sich, um zuzuhören.

Jake suchte nach Ausflüchten, entschied sich aber dann für die Wahrheit. „Ich langweile mich“, gestand er.

„Ein Wunder ist geschehen!“ rief Will aus.

Jake setzte sich auf und sah seinen Bruder an. „Ich werde ‚Toby’s Corners’ nicht verlassen. Mir gefällt es hier.“

„Na, wenigstens ein Anfang.“ Will trank einen Schluck.

Einen Augenblick dachte Jake schweigend nach. „Haben wir Geld zur Verfügung?“ wollte er dann wissen.

„Das meiste steckt im Hotel und in der Anlage“, sagte Will. „Ich habe eine Summe für zukünftige Ausgaben zurückgelegt. Das ist nicht viel. Vielleicht zehn- oder fünfzehntausend.“

„Ich möchte es haben“, sagte Jake.

„Werde ich das Geld wiedersehen?“

„Das weiß ich nicht. Vielleicht hättest du mir lieber nicht einreden sollen, dass ich etwas unternehmen und mich für nörgelnde Blondinen interessieren soll.“

„Da wir gerade von Kate reden, was wirst du tun?“ fragte Will.

„Keine Ahnung.“ Jake blickte wieder auf die untergehende Sonne. „Das muss ich mir noch genau überlegen.“

„Damit könntest du dich die nächsten zwanzig Jahre beschäftigen, so wie ich dich kenne.“

„Jetzt klingst du schon wie Kate“, beschwerte Jake sich.

„Sie ist eine intelligente Frau. Wir haben viel gemeinsam.“ Will sah seinen Bruder prüfend an. „Um das Geld tut es mir nicht Leid, Aber wenn du denkst, du wirst glücklich, wenn du’s ausgibt, dann irrst du dich. Es geht um Kate, und das weißt du auch.“

„Irgendwie müsste ich sie dazu bringen, wieder hierher zu kommen“, bemerkte Jake. „Sie war glücklich hier oder nicht?“

„Ja, das war sie. Hol sie zurück.“

„Wie?“ wollte Jake wissen.

„Ruf sie an und bitte sie darum“, schlug Will vor.

„Nein. Es muss für sie noch andere Gründe außer mir geben, damit sie hier auf Dauer glücklich sein kann. Ich muss mir irgendetwas Cleveres einfallen lassen.“

„Entführ sie, oder erzähl ihr, dass du von ihr schwanger geworden bist.“

Jake stieß verächtlich die Luft aus. „Du bist mir nicht gerade eine große Hilfe.“

„Auf jeden Fall musst du etwas unternehmen und nicht weiter hier herumlaufen und alle deine Freunde vergraulen.“ Will stand auf und verließ die Veranda.

Das Einzige, was ihr Spaß macht, ist, sich um die Geschäfte anderer Leute zu kümmern, überlegte Jake. Und ich. Während er seinen Kaffee trank, dachte er weiter darüber nach. Das konnte vielleicht der Ansatz einer Idee sein.

Nach einer Weile stand er auf und fuhr zu Nancy.

Kate saß in ihrem Büro und telefonierte mit Chester Vandenburg, dem Vizepräsidenten einer Gesellschaft, für deren Rettung vor dem drohenden Bankrott sie seit sechs Wochen Tag und Nacht arbeitete. Dabei stachelte sie der Gedanke an, dass sechshundert Arbeitsplätze und das Kapital von über zweitausend Kleinanlegern auf dem Spiel standen.

Doch gleichzeitig verspürte sie einen wachsenden Widerwillen gegen das Leben in der Stadt und ihren stressigen Job und hatte eine unbändige Sehnsucht nach Jake, auch wenn sie solche Gefühle immer entschlossen beiseite schob.

„Mr. Vandenburg, könnten Sie mir erklären, wieso Sie Ihren Managern eine Gehaltserhöhung gegeben haben?“ Ungeduldig klopfte sie mit den Fingern auf die Tischplatte. „Diese Leute sind doch dafür verantwortlich, dass Ihre Firma in die roten Zahlen geraten ist. Haben Sie keine Schuldgefühle gegenüber den Aktienbesitzern, Mr. Vandenburg? Kennen Sie überhaupt so etwas wie ein Gewissen?“ Sie unterbrach sich, als sie merkte, dass ihre Stimme immer schriller klang.

„Ich habe den Eindruck, dass Sie von großen Unternehmen nicht viel Ahnung haben, Miss Svenson“, entgegnete Vandenburg eisig. Gute Führungskräfte sind die Pfeiler …“

„Ich bin mit solchen Unternehmen aufgewachsen, Mr. Vandenburg. Meine ersten Aufsätze habe ich über Geldanlagen und Firmenübernahmen geschrieben. Aber noch größer als meine Kenntnisse ist Ihre Ignoranz gegenüber den Vorgängen, die vor Ihrer Nase geschehen und von Ihnen noch unterstützt werden.“

„Wollen Sie etwa behaupten, ich sei unfähig? Vielleicht sollte Ihr Vater uns lieber einen anderen Berater zuteilen, Miss Svenson.“

Kate hörte nur noch ein Klicken in der Leitung, als Mr. Vandenburg auflegte. Gleichzeitig ging die Tür zu ihrem Büro auf.

„Schon gut, sie kennt mich“, beruhigte Jessie Kates Sekretärin und kam mit zwei Papiertüten zu Kate. ‚Apfeltaschen und schwarzer Kaffee. Du siehst ja entsetzlich aus.“

„Danke“, sagte Kate. „So fühle ich mich auch. Ich wusste gar nicht, für was für schlechte Menschen ich arbeite.“ Sie holte eine Schachtel aus einer der Tüten. „Das riecht gut, vielleicht lenkt mich das ab.“ Sie sah Jessie ein. „Weißt du, früher hat mir die Arbeit Spaß gemacht, aber jetzt ist das alles anders.“

Jessie ließ vor Überraschung beinahe ihre Apfeltasche fallen. „Aber das ist doch toll. Dann fang doch irgendwo anders ganz neu an. Sagen wir, in Kentucky.“

„Nein“, entgegnete Kate sofort.

„Wenn Jake nicht dort lebte, würdest du sofort hinfahren. Du vermisst das Städtchen.“

„Schon möglich.“ Kate wickelte ihre Apfeltasche aus und betrachtete sie unglücklich. „Ich fühle mich so elend, dass mir der Appetit vergeht.“

„Du vermisst Jake auch. Sei nicht dumm, und gesteh es dir endlich ein“, drängte Jessie.

„Seit sechs Wochen hat er nicht angerufen. Wahrscheinlich würde er mich nicht einmal erkennen, wenn wir uns träfen.“

„Ach hör doch damit auf.“

„Sechs Wochen.“ Kate blickte Jessie verletzt an. „Ich habe meinen Anrufbeantworter unter einem Berg Kissen begraben, weil ich es nicht ertragen konnte, dass nie eine Nachricht von ihm drauf war.“ Sie wies auf das Büro. „Das ist alles, was ich habe. Und ich hasse es.“

„Was du brauchst“, sagte Jessie, „ist ein Plan.“ Sie schnappte sich einen Notizblock.

„Nicht schon wieder!“ Kate hob abwehrend die Hände. „Sieh dir doch an, wohin dein letzter Plan mich gebracht hat.“

„Also, wenn ich mich recht entsinne“, überging Jessie Kates Einwand, „dann muss man zuerst ein Ziel festsetzen.“ Sie nahm sich einen Stift. „In deinem Fall heißt das, du willst Jake heiraten.“

„Jessie“, setzte Kate an, doch sie kam nicht zu Wort.

„Tja, was hält dich eigentlich davon ab, ihn zu heiraten?“

„Er spricht nicht mit mir, und das erscheint mir eher nachteilig für eine Ehe“, erklärte Kate spöttisch.

„Wir wissen nicht, ob er nicht mit dir spricht“, sagte Jessie. „Er ruft dich lediglich nicht an. Das ist ein Unterschied.“

„Den kann ich nicht entdecken“, wandte Kate ein.

Aber Jessie schrieb: 1. Er ruft nicht an. „Was noch?“ wollte sie wissen. „Der Mann liebt dich, du liebst ihn, und ich werde euch wieder zusammenbringen.“

„Er denkt, dass er mich liebt“, stellte Kate richtig. „Als ich abfuhr, war er sich darüber noch nicht ganz im Klaren.“

„Okay“, meinte Jessie und notierte: 2. Er glaubt, dass er sie liebt. „Das klappt ja bestens. Weiter.“

„Na ja, er hasst Auseinandersetzungen. Aber er mag es auch nicht, wenn Frauen versuchen, ihn mit weiblichen Tricks zu etwas zu überreden. Damit wird so ziemlich jeder menschliche Kontakt unmöglich, abgesehen von Sex.“

„Was hält er von Sex?“

„Davon ist er schwer begeistert“, erwiderte Kate und fragte sich, ob er diesem Hobby vielleicht jetzt mit einer anderen Frau nachging.

Jessie schrieb auf: 3. Er hasst Auseinandersetzungen und Manipulation.

„Außerdem arbeitet er nicht, und das macht mich verrückt. Er will keine Verpflichtung eingehen, und zusätzlich sagt er ganz offen, dass es in ‚Toby’s Corner’ nichts für mich zu tun gibt. Wenn das keine Abwehrstrategie ist…“

„Tja, ohne Arbeit würdest du nicht glücklich sein.“ Jessie notierte die Punkte vier bis sechs: Er arbeitet nicht, er will keine Verpflichtung eingehen, er glaubt, es gebe für sie keine Arbeit in Toby’s Corners. „Das ist alles? Aber das lässt sich doch regeln.“

„Nur noch ein Punkt: Er will nicht heiraten. Und ich möchte einen Antrag bekommen und wünsche mir eine Hochzeit mit allem Drum und Dran.“

„Okay.“ Jessie vervollständigte die Liste: 7. Er will nicht heiraten. „Also der erste Punkt ist leicht. Ruf ihn an. Oder noch besser: Fahr hin. In vier Stunden bist du dort. Besuch Penny und Mark. Und deine Freundin Nancy. Vielleicht ist Jake sich in dem letzten Monat auch über Punkt zwei klar geworden.“

„Und deshalb hat er nicht angerufen“, bemerkte Kate grimmig. „Ich mag diese Liste nicht.“

„Liebst du ihn?“

Kate schluckte. „Ja.“

„Du hast ihn auch nicht angerufen. Vielleicht ist er nur ein genauso großer Feigling wie du. Nummer drei: Da muss er nachgeben. Entweder muss er sich auf Auseinandersetzungen einlassen, oder er wird manipuliert. Ich ziehe die Auseinandersetzung vor.“

„Ich weiß.“

„Nun zu Nummer vier“, fuhr Jessie fort.

„Ich bin aber mit den Punkten eins bis drei immer noch nicht glücklich“, wandte Kate ein.

Jessie hörte Kate überhaupt nicht zu. „Bei Punkt vier musst du nachgeben. Du kannst ihn nicht zum Arbeiten zwingen, wenn er nicht will. Nummer fünf ist eigentlich dasselbe wie Nummer sieben, also wird sie gestrichen. Nummer sechs …“

„Was war noch Nummer sechs?“ fragte Kate verwirrt.

„Der Mangel an interessanter Arbeit für dich.“ Jessie atmete tief durch. „Hast du mit nicht erzählt, wie überarbeitet Jakes Bruder ist? Und dann die vielen kleinen Läden im Dorf – wenn du allen auf die Beine hilfst, wird es sich herumsprechen, und du könntest in der weiteren Umgebung genug Aufträge bekommen, um dich als selbständige Unternehmensberaterin niederzulassen.“ Sie trank einen Schluck Kaffee. „Ich finde, du solltest in die Bar von Nancy einsteigen. Du könntest den Laden berühmt machen.“

„Nancy will keine berühmte Bar haben“, wandte Kate ein.

„Dann bekommt sie eben trotzdem eine. Kommen wir zu Punkt sieben. Hochzeit und Verpflichtungen.“

„Der wunde Punkt.“ Kate seufzte auf. „Sind wir denn schon mit eins bis sechs fertig?“

„Sei still.“ Jessie sah sie eindringlich an. „Du wirst Jake einen Antrag machen müssen.“

„Nein.“

„Doch“, beharrte Jessie. „Du musst den ersten Schritt machen.“

„Er wird ablehnen, du kennst ihn nicht so gut wie ich.“

„Immerhin liebt er dich.“ Jessie nahm ihre Hand. „Hör mir zu, Kate. Du kannst entweder mit Jake glücklich werden oder hier bei deiner Arbeit, die dir keine Freude mehr macht, versauern.“

„Schließlich bist du doch noch hier“, wandte Kate ein.

„Nein. Wenn du meinen Plan ablehnst, spreche ich kein Wort mehr mit dir.“

Eine Weile sah Kate ihre Freundin schweigend an. ‚Also gut“, sagte sie dann. „Ich werde es versuchen.“

Jessie schob ihr das Telefon zu. „Ruf Nancy an. Jetzt gleich. Was ist? Stell dich nicht so an! Mach schon!“

Zögernd griff Kate zum Hörer und wählte die Nummer. Innerlich bebte sie, während sie darauf wartete, dass jemand abnahm. „Nancy?“ meldete sie sich mit übertrieben heiterer Stimme.

„Kate? Na endlich“, antwortete Nancy. „Ich habe es schon so oft versucht, dich zu erreichen. Aber ich habe nur deine private Nummer. Gehst du nie nach Hause? Da müssen mindestens fünf Nachrichten von mir auf deinem Anrufbeantworter sein.“

„Was ist denn los? Geht es Jake gut?“

„Nein“, antwortete Nancy. „Er denkt, du seist tot oder mit einem anderen Mann zusammen. Will und ich reden ihm ein, dass du einen anderen hast. Vielleicht kommt er durch Eifersucht zur Vernunft. Also wundere dich nicht, wenn er bei dir auftaucht und irgendjemanden erschlagen will.“

Kate musste lachen „Er vermisst mich?“

„Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts. Wir fürchten, dass wir ihn bald in die Klinik bringen müssen. Es geht ihm wirklich schlecht, und du solltest ihn retten.“

„Eigentlich“, Kate zögerte, „rufe ich an, weil ich deine Teilhaberin werden wollte. Ich würde dir nicht meinen Willen aufzwängen. Ganz bestimmt nicht.“

„Mach das nur. Ich habe mir deinen Plan noch mal angesehen. Komm zu uns, und wir gehen die Sache gemeinsam an.“

„Du hast es dir überlegt?“ Kate war leicht verwirrt. „Das ist wundervoll.“

„Im Grunde war es Jakes Idee“, gab Nancy zu. „Seit ein paar Wochen hält er mir jeden Abend lange Vorträge darüber, wie viel besser mein Leben wäre, wenn du hier wärst.“ Sie lachte. „Ich habe ja schon viele Ausreden gehört, aber es ist ziemlich eindeutig, dass er sich nach dir sehnt.“

„Und trotzdem lässt er mich hier zappeln? Das wird er mir büßen.“ Kurz darauf verabschiedete sie sich von Nancy und legte auf.

„Na was habe ich dir gesagt?“ fragte Jessie. „Jetzt gehen wir beide zu dir, und ich helfe dir beim Packen.“

„Das geht nicht. Ich muss erst meine Klienten an andere Mitarbeiter weiterleiten, bei meinem Vater kündigen, meine Wohnung verkaufen und meine Geldanlagen zu Bargeld machen. Und dann muss ich mir noch überlegen, was ich mit dieser Liste und Jake anfange. Keine Angst“, setzte sie hinzu, als sie Jessies Blick sah, „ich überlege es mir nicht anders. Schließlich bin ich jetzt Besitzerin einer halben Bar.“

Jake saß im Hotelbüro und starrte so konzentriert auf den Computerbildschirm, dass er nicht hörte, wie die Tür aufging.

Einen Moment blieb Kate erstaunt im Türrahmen stehen. Bislang hatte sie Jake nur so weltvergessen erlebt, wenn sie beide miteinander geschlafen hatten. Sie schloss die Tür und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. Innerlich rief sie sich ins Gedächtnis, was Nancy und Jessie ihr geraten hatten. Er vermisste sie, und sie musste den ersten Schritt tun.

Dabei hätte sie sich ihm am liebsten in die Arme geworfen. Stattdessen ließ sie es vielleicht auf eine Auseinandersetzung ankommen. „Hallo“, sagte sie laut, und Jake blickte auf.

Einen Augenblick, der Kate endlos vorkam, sahen sie einander nur wortlos an.

„Hallo“, brachte Jake dann heraus. Ihm fiel einfach nichts Gescheites ein. Nach all den einsamen Wochen saß sie endlich vor ihm, und er dachte nur voller Panik: Sie darf nicht wieder weggehen.

Da er schwieg, ergriff Kate das Wort: „Vermutlich wunderst du dich, dass ich hier bin.“

„Nein“, erwiderte er. „Ich freue mich nur. Du siehst phantastisch aus.“

„Danke. Du auch.“ Los, befahl sie sich. Bring es endlich hinter dich. „Ich bin Nancys Teilhaberin geworden.“

„Ich weiß“, antwortete er. „Sie hat es mir letzte Woche erzählt. Ich finde es großartig.“ Fällt dir nichts Besseres ein? schoss es ihm durch den Kopf.

„Tja“, meinte Kate, „das bedeutet, dass ich hierher ziehe. Ehrlich gesagt, habe ich es gerade getan.“

Jake nickte nur wortlos, und schließlich gab Kate auf. Sie machte sich bloß lächerlich. „Ich glaube, ich gehe dann lieber“, sagte sie und stand auf.

Jake sprang auf. „Warte!“

„Das habe ich sechs Wochen lang getan“, fuhr sie ihn an. „Es reicht. Ist dir gar nicht aufgefallen, dass ich weg war?“

„Doch, es war entsetzlich. In der Zeit habe ich nachgedacht.“

„Sechs Wochen lang?“ fragte sie ungläubig. „Kannst du dir vorstellen, wie elend ich mich gefühlt habe? Ich habe geheult, und das tue ich sonst nie.“ Sie schlug mit der Faust auf den Tisch. „Sechs Wochen!“

„Kate“, warf Jake ein, doch sie war mit ihrer Geduld am Ende.

„Glaub bloß nicht, dass ich deinetwegen hergekommen bin. Ich hasse das Großstadtleben, und hier gefällt es mir. Also bin ich hierher gezogen. Das hat mit dir überhaupt nichts zu tun.“

„Da haben wir doch etwas gemeinsam“, versuchte Jake einzulenken.

„Wir haben gar nichts gemeinsam“, fauchte sie ihn an und ging zur Tür.

Im letzten Moment stellte Jake sich ihr in den Weg. „Gib mir eine Chance.“

„Nein. Bitte lass mich durch.“

Er schüttelte den Kopf und umfasste ihre Schultern. „Ich kann dich nicht gehen lassen. Du liebst mich und hast meinetwegen geweint. Das hast du zugegeben.“

„Darüber komme ich hinweg“, entgegnete Kate. „Vielleicht hat mir dieses Treffen schon sehr dabei geholfen.“

„Das werde ich nicht zulassen.“ Jake zog sie an sich und küsste sie.

Kate hatte beinahe vergessen, wie atemberaubend er küssen konnte und was für ein berauschendes Gefühl es war, sich in seine starken Arme zu schmiegen.

„Mach mir nie wieder solche Angst“, flüsterte Jake, als er den Kuss beendete. „Ich dachte, du würdest wirklich wieder gehen.“

„Das wollte ich auch.“ Kate atmete tief durch und zog sich von ihm zurück, bevor sie durch seine Nähe die letzte Willenskraft verlor. „Ich habe eine Reihe von Bedingungen, und die werden dir nicht gefallen.“ Sie zog Jessies Liste hervor. „Ich hoffe, du kannst die Schrift meiner Freundin entziffern.“

Jake nahm den Zettel mit einer Hand und legte Kate den anderen Arm um die Schultern. „‚Erstens’“, las er. „‚Er ruft nicht an’.“ Verwirrt blickte er hoch.

„Na ja, du hast nicht angerufen.“ Mit einemmal kam Kate die Liste unsinnig vor. „Gib mir den Zettel wieder.“

Doch er hielt ihn außer Reichweite. „Von jetzt an werde ich dich dreimal täglich anrufen, wenn du es willst. ‚Zweitens: Er glaubt, dass er sie liebt.’“

„Das hast du gesagt“, erklärte Kate. „Und ich war mir nicht sicher.“

„Sei beruhigt, ich bin verrückt nach dir.“ Jake klang so ernst und aufrichtig, dass Kate es kaum fassen konnte. „‚Drittens’“, fuhr er fort. „‚Er hasst Auseinandersetzungen und Manipulation.’ Das ist richtig. Wo liegt das Problem?“

„Du musst dich für eins entscheiden, sonst sprechen wir nicht viel miteinander“, erklärte Kate energisch.

Jake seufzte. „Die Auseinandersetzungen. Anders könntest du auch gar nicht leben. Nummer vier? ‚Er arbeitet nicht.’“ Lächelnd sah er sie an. „Wollen wir wetten? Komm mal mit.“ Er führte sie zum Computer und wies auf den Bildschirm. „Ich bastele noch an meiner Karriere, aber es ist ein Anfang. Du hattest Recht, ich habe mich gelangweilt. Glücklicherweise kann man heutzutage Geldgeschäfte tätigen, ohne in die Stadt zu ziehen. Und möglicherweise wird daraus eines Tages meine eigene Anlageberatungsfirma. Na, wie gefällt dir das?“

„Ich bin fasziniert“, sagte Kate, und Jake zog sie wieder in seine Arme.

„‚Fünftens. Er will keine Verpflichtungen eingehen.’ Das kannst du vergessen, ich fühle mich dir bereits verpflichtet. ‚Sechstens: Er glaubt, es gebe für sie keine Arbeit in ‚Toby’s Corners’.’ Darum habe ich mich schon gekümmert, indem ich Nancy von deinem Plan überzeugt habe. ‚Siebtens: Er will nicht heiraten.’“

„Aber ich will“, betonte Kate.

„Gut“, sagte Jake nur. „Ich habe hierfür viel Geld ausgegeben.“ Er holte tief Luft und zog eine kleine Schmuckschachtel aus der Jacketttasche.

„Ringe?“ Kate setzte sich fassungslos auf einen Stuhl. „Du kaufst Ringe, aber du rufst mich sechs Wochen lang nicht an?“

„Ich wollte sie bei mir haben, wenn ich dir einen Antrag mache.“ Jake beobachtete sie aufmerksam, als sie die Schachtel öffnete. „Ich dachte, dann wärst du vielleicht so überwältigt, dass …“

„Ich bin überwältigt“, gestand sie und betrachtete die Ringe. Einer von ihnen war mit einem Solitär versehen.

„Ich habe noch etwas“, sagte er. „Ich habe ein Haus gekauft. Aber es ist nur ein altes Landhaus am See.“ Besorgt sah er ihr in die Augen. „War das wieder falsch?“

„Du hast ein Haus gekauft? Und was willst du tun, wenn ich nein sage?“

„Das darfst du nicht einmal im Scherz tun.“ Jake drohte ihr mit dem Finger. „Ich habe schon genug Alpträume deinetwegen hinter mir.“

„Mach mir einen Antrag“, forderte Kate.

„Willst du mich heiraten?“

„Ja.“ Kate steckte sich den Ring an, und Jake zog sie erleichtert in die Arme.

„Danke“, stieß er hervor und hielt sie eine Weile schweigend im Arm. „Du bist dir ganz sicher, aber ich mache mir ständig Gedanken, ob wir keinen Fehler begehen. Sieh der Wahrheit ins Auge: es wird nicht immer leicht mit mir sein.“

„Das weiß ich.“

„Ich wollte nur sichergehen, dass du dir dessen bewusst bist.“ Jake sah sie so liebevoll an, dass ihr vor Rührung fast die Tränen kamen.

Sie schluckte. „Aber wieso lässt du mich sechs Wochen lang im Ungewissen? Die Zeit ohne dich war die Hölle. Tu so etwas nie wieder.“

„Genau das meine ich“, sagte Jake. „Ich tue das nicht mit Absicht, und ich werde mich wirklich bemühen, aber wahrscheinlich werde ich noch öfter irgendetwas falsch machen und dir dadurch wehtun, ohne es zu wollen. Und dann wirst du dich aufregen, und wir werden uns streiten.“

Wieder musste Kate schlucken. „Ich weiß.“

„Aber das Wichtigste“, sagte er und sah ihr forschend in die Augen, „ist, dass wir alle Probleme miteinander lösen können, weil nichts so schlimm ist, als wenn wir voneinander getrennt sind.“

„Ich bin überwältigt.“ Kate konnte kaum sprechen, weil sie so aufgewühlt war. „Ich dachte, du würdest nur sagen, dass du mich vielleicht liebst, oder dass du im günstigsten Fall nach langem Zögern zustimmst, mich zu heiraten, oder …“

Jake zog sie noch dichter zu sich. „Ich habe mich schrecklich benommen, stimmt’s? Ich dachte, du wüsstest …“

„Nein, aber jetzt weiß ich es.“ Kate hielt den Ring ins Licht und betrachtete ihn eingehender. „Diese Verzierungen im Gold, sind das Fische?“ Sie konnte kaum noch ein Wort herausbringen.

„Es sind Extraanfertigungen“, erklärte Jake. „Wir hatten ein paar unserer schönsten Momente am See. Und du solltest einen ganz besonderen Ring bekommen, weil du auch eine ganz besondere Frau bist.“

„Fische“, sagte Kate. „Habe ich schon gesagt, dass ich dich bis an mein Lebensende lieben werde?“

„Sei froh darüber, denn du wirst mit mir bis an dein Lebensende zusammen sein.“ Nach einem Augenblick fügte er hinzu: „Es sei denn, du bringst mich im Bett um. Versuch es nur, mir ist es egal.“

Kate betrachtete immer noch den Ring. „Ich bin verlobt“, sagte sie mehr zu sich selbst.

„Und ich werde nicht den Fehler deiner früheren Verlobten machen. Die haben einfach zu lange gewartet. Lass uns dieses Wochenende heiraten.“

„Was?“ Kate blickte erstaunt hoch, und Jake küsste sie und zog sie so dicht an sich, als wolle er sie nie wieder loslassen. Kate erwiderte den Kuss voller Liebe und Hingabe. Bei keinem anderen Menschen hatte sie sich je so geborgen gefühlt.

„Wenn du denkst, ich würde dich wieder verlassen, musst du verrückt sein“, sagte sie leise. „Du hast mir einen Antrag gemacht, und das kann ich mit meinem Ring beweisen.“

„Sicher ist sicher. Wir werden so schnell wie möglich heiraten, und dann musst du für immer bei mir bleiben. Verstanden?“

„Ja“, erwiderte sie. „Zum ersten Mal, seit wir uns begegnet sind, verstehe ich dich wirklich. Aber küss mich noch mal, ich bin manchmal etwas schwer von Begriff.“

„Du kannst von mir jederzeit Nachhilfe bekommen“, versprach Jake lächelnd und zog sie wieder an sich.

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