Aschenpummel (German Edition)

chapter 18

»Und noch mal das ganze Spiel, liebste Teddy – links das Pedal koooommen lassen, rechts ruuuunter drücken, kommen – runter, kommen – runter, jaaaaa, jaaaa, sehr gut … und gleich noch mal, links koooommen, rechts ruuuunter, jaaaa, bravo! Bravissimo, Teddy!«

Ich war ein Genie. Gott, war ich ein Genie! Ich hatte es endlich raus, war zweimal hintereinander angefahren, ohne dass der Motor abgesoffen war.

Und das, obwohl der Zahnarzt auf dem Beifahrersitz mich nervöser machte als je zuvor. Diesmal hatte er mich gleich mit einem Küsschen links und rechts auf die Wangen begrüßt. Ich kam mir dermaßen begehrt vor, dass ich kaum wusste, wohin mit mir.

»Und, Teddy?« Strohmann lehnte sich zu mir. »Was meinen Sie? Sollen wir ihn heute wagen? Den Verkehr?«

Schon klar, er sprach vom Autofahren, trotzdem prustete ich los wie eine Zwölfjährige. Zwischen einzelnen Kichersalven stotterte ich hervor: »Tschuldigung, dass ich hihihi … hihihi, aber ich bin so glücklich, weil das Anfahren klappt, hahaha …«

Ich lachte so sehr, dass mir der Bauch weh tat, der Zahnarzt sah verdutzt drein, weswegen ich gleich noch viel lauter lachen musste. Schließlich warf ich mich auf das Lenkrad und spürte, dass mir der Speichel aus dem Mund floss. Da hörte ich auf zu lachen. »Tschuldigung«, wiederholte ich.

»Sie sind eine wunderbare Frau der Extreme«, sagte Strohmann.

Verkehr traute ich mich trotzdem nicht. Ich übte auf dem Parkplatz noch vierundvierzig Mal das Anfahren, dann tauschte ich mit Strohmann den Platz und ließ mich nach Hause chauffieren.

»Wissen Sie was?«, begann ich, als wir die Nussdorfer Straße entlangfuhren. »Lassen Sie mich heute bitte früher raus. Sie wissen schon, meine Mutter …«

Der Zahnarzt nickte schelmisch. »O ja, ich verstehe sehr gut.«

Er parkte das Auto in einer Nebengasse und stellte den Motor ab. Ich wollte mich abschnallen, doch er legte die Hand auf den Gurt, oder besser gesagt, auf meine Brust, oder noch besser gesagt, auf meinen dreifach ausgestopften Miss-Bombastic-Wonder-Bra.

»Oh, liebe Teddy«, gurrte er und ich spürte mein Herz unter dem Bombastic Bra rasen. »Gehen Sie nicht so einfach. Unterhalten wir uns noch ein bisschen. Erzählen Sie mir doch was von sich.«

Sofort war ich wieder alarmiert. »Von was denn?«, fragte ich. »Von Hans?«

Mit der freien Hand strich er über meine Wange. »Aber liebste Teddy, was könnte mich denn der alte, tote Mann interessieren, wo doch hier neben mir das blühende Leben in all seiner Pracht und Herrlichkeit, mit all der Süße der Jugend und all der Kraft der weiblichen Sehnsucht sitzt? Ach, Teddy …«

Ach, Mr. Rochester …

O Gott, Mr. Rochester, was wurde das jetzt? OGottoGott, oGottoGott, bitte nicht, bitte nicht – ich bin doch schon vergeben …

»Aber Teddy, wieso schauen Sie denn so schockiert drein? Bitte fürchten Sie sich doch nicht.«

»O Gott …« Ich schnallte mich ab und rüttelte am Türgriff.

Endlich schaffte ich es, die Tür zu öffnen. »Sehen wir uns morgen Abend?«, stieß ich hervor. Immerhin hatte der Mann ja trotz alledem mein Auto, also musste ich ihn wiedersehen.

»Natürlich«, säuselte der Zahnarzt, als wäre nichts gewesen.

Aber es war was gewesen, dachte ich fünf Minuten später, als ich meine Wohnungstür aufschloss. Mama hatte sich diesmal gar nicht blicken lassen, doch ich hatte momentan sowieso keinen Kopf, um mir ihretwegen Sorgen zu machen.

Der verdammt noch mal schönste Mann der Welt hatte gerade versucht, mich zu küssen! Wieso? Wieso nur?

Mein Handy klingelte. Tissi! Okay, Teddy, egal, was passiert, bleib stark. Lass dich ja nicht unterkriegen von ihr.

»Hallo Tissi.« Bleib stark.

»Es geht mir schlecht, Teddy.«

Ich öffnete den Mund, brachte aber kein Wort raus. Konnte sie nicht einfach sein wie sonst immer? Mit der selbstsicheren Tissi, die über alles und jeden drüberfuhr, konnte ich umgehen, aber was, wenn es ihr wirklich schlecht ging? Das tat es doch sonst nie.

»Hat es dir die Sprache verschlagen, Teddy?«

Danke, Tissi. »Nein«, sagte ich fest. »Und ganz ehrlich, ich bereue nichts von dem, was heute passiert ist. Du mischst dich ständig in mein Leben ein. Dann erzählt Mama dir anscheinend, dass ich heiraten werde, was übrigens gar nicht stimmt, aber darum geht es jetzt nicht, und das Einzige, was du mir dazu zu sagen hast, ist absolut demütigend.« Demütigend, das war gut.

Und da sagte Tissi etwas, das ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen würde. Sie sagte:

»Du hast gut reden, du hast ja immer alles gehabt.«

Ich war so schockiert, dass ich mich augenblicklich auf den Boden setzen musste. »Sag das noch mal.«

»Du hast immer Mamas Aufmerksamkeit gehabt.«

»Ach komm«, zischte ich. »Also ob das was Gutes wäre!«

»Glaubst du nicht, dass ich sie nicht auch manchmal gebraucht hätte?«, fragte Tissi ruhig. Viel zu ruhig für meine Begriffe.

Umso hysterischer antwortete ich: »Dann geh doch du jeden Tag zu ihr. Zieh du in dieses Haus. Kümmer du dich um sie.«

»Wozu? Wenn ich sie anrufe, redet sie nur von dir.«

Ich schnappte nach Luft. »Das will ich ja gar nicht!«

Unbeirrt fuhr Tissi fort: »Das war schon immer so. Wenn ich irgendetwas geleistet habe, dann hat sie mich nie gelobt, sie hat ständig nur davon geredet, dass du diese Leistung nicht erbringen wirst.«

»Na, ganz toll«, sagte ich.

»Ich hab immer funktionieren müssen. Um dich hat sie sich gekümmert, aber ich war das Selbstläufermodell.«

Ich wollte was einwerfen, doch sie war schneller: »Und bei den Männern hast du es auch leichter.«

Am liebsten hätte ich mein Handy im Klo versenkt. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder war Tissi auf Drogen oder sie machte sich einen Spaß daraus, mich zu verhöhnen. Ich befürchtete Letzteres.

»Weißt du, was die Männer in mir sehen?«

Ich verdrehte die Augen so weit rauf, dass sie wahrscheinlich für immer da oben stecken bleiben würden. »Lass mich raten. Sie sehen dich als Sexobjekt.«

»Falsch geraten«, sagte Tissi.

Das kam jetzt überraschend. »Falsch geraten?«, wiederholte ich stupide.

»Sie sehen mich als selbstbewusste Karrierefrau, die es zu knacken gilt. Ist das einmal geschafft, haben sie Angst, dass sie nicht mit mir mithalten können. Folge: Sie verlassen mich. Das war immer so, und das wird immer so sein.«

»Und was ist bei mir besser? Dass ich von vornherein keinen Mann kriege und gar nicht erst verlassen werden kann?«

Das gewohnt Schnippische kehrte in Tissis Stimme zurück. »Frauen wie du bekommen doch immer irgendeinen Mann, der alles für sie tut.«

Ich war im falschen Film. Verwechselte sie mich?

»Was heißt überhaupt ›Frauen wie ich‹?«, hakte ich nach.

»Das weißt du ganz genau.«

»Weiß ich nicht!«

»Heiratest du denn jetzt eigentlich?«

»Nein, nein, das hätte Mama nur gern. Aber was meinst du mit …«

»Oh, Gott sei Dank«, entfuhr es Tissi.

»Warum?«

»Weil es nicht richtig wäre, wenn du, die Jüngere, zuerst heiratest! Gute Nacht, Teddy.«

»Tissi, warte!«

»Wie heiße ich?«

»Ti-, Tira! Entschuldige bitte. Und warum hast du dich überhaupt umbenannt?«

»Weil ich nicht mehr Tissi sein wollte.«

Mir stand der Mund offen, ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte.

Irgendwann merkte ich, dass sie aufgelegt hatte. Der Mund stand mir noch immer offen.

Tissi wollte nicht mehr Tissi sein.


Miedler, Nora's books