Save You (Maxton Hall, #2)

?Aber du wei?t auch, dass ich nicht kann, oder??

Im Salon geht irgendetwas zu Bruch. Ich h?re das Klirren von Glas, gleich darauf brüllt jemand laut. Ob es vor Schmerz oder aus Spa? ist, kann ich nicht sagen, nichtsdestotrotz richte ich mich sofort auf. Ich darf nicht zulassen, dass James sich jetzt auch noch k?rperlich verletzt.

?Tut mir leid, dass ich angerufen habe?, flüstere ich mit gebrochener Stimme und beende das Gespr?ch.

Mein Herz sticht, als ich mich erhebe und die geschützte kleine Ecke verlasse, um nach meinem Bruder zu sehen.

Ember

Meine Schwester ist krank.

Unter normalen Umst?nden würde ich sagen, dass das nichts Au?ergew?hnliches ist – schlie?lich haben wir Dezember, drau?en herrschen Minusgrade, und egal, wo man hinkommt, wird geschnieft und gehustet. Da ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis man sich ansteckt.

Blo? – meine Schwester ist nie krank. Wirklich nie.

Als Ruby vor drei Tagen sp?tabends nach Hause gekommen und ohne ein einziges Wort ins Bett gegangen ist, habe ich mir nichts dabei gedacht. Schlie?lich hatte sie gerade einen Bewerbungsmarathon in Oxford hinter sich, der mit Sicherheit nicht nur psychisch, sondern auch k?rperlich anstrengend war. Als sie dann aber am n?chsten Tag behauptete, sie habe eine Erk?ltung und k?nne nicht zur Schule gehen, wurde ich skeptisch. Wer Ruby kennt, wei? n?mlich ganz genau, dass sie sich selbst mit Fieber in den Unterricht schleppen würde, aus Angst, irgendetwas Wichtiges zu verpassen.

Heute ist Samstag, und inzwischen mache ich mir richtige Sorgen. Ruby hat kaum ihr Zimmer verlassen. Sie liegt in ihrem Bett, liest ein Buch nach dem anderen und tut so, als w?re ein Schnupfen schuld an ihren roten Augen. Aber sie kann mir nichts vormachen. Irgendetwas Schlimmes ist passiert, und es macht mich verrückt, dass sie mir nicht erz?hlt, was.

Im Moment beobachte ich sie durch den Türspalt dabei, wie sie in ihrer Suppe herumrührt, ohne etwas davon zu essen. Ich kann mich nicht daran erinnern, sie jemals zuvor so erlebt zu haben. Ihr Gesicht ist bleich, und unter ihren Augen befinden sich bl?uliche Ringe, die mit jedem Tag dunkler werden. Ihre Haare sind fettig und h?ngen ungek?mmt zu beiden Seiten ihres Gesichts hinab, au?erdem tr?gt sie dieselbe schlabbrige Kleidung wie gestern und vorgestern. Normalerweise ist Ruby die Definition von ?geordnet?. Nicht nur, wenn es um ihren Planer oder die Schule geht, sondern auch bei ihrem Erscheinungsbild. Ich wusste nicht mal, dass sie überhaupt Schlabberkleidung besitzt.

?H?r auf, vor meiner Tür zu kauern?, sagt sie pl?tzlich, und ertappt zucke ich zusammen. Ich tue so, als h?tte ich ihr Zimmer ohnehin betreten wollen, und schiebe mich durch die Tür.

Ruby sieht mich mit hochgezogener Braue an. Dann stellt sie die Suppe neben dem Bett auf dem Tablett ab, auf dem ich sie ihr gebracht habe. Ich unterdrücke ein Seufzen.

?Wenn du sie nicht isst, esse ich sie?, drohe ich mit einem Nicken auf die Suppe, was leider nicht den gewünschten Effekt hat. Ruby macht nur eine vage Handbewegung.

?Tu dir keinen Zwang an.?

Mit einem frustrierten Laut lasse ich mich auf den Rand ihres Bettes sinken. ?Ich habe dich in den letzten Tagen mit aller Mühe in Ruhe gelassen, weil ich gemerkt habe, dass du nicht sonderlich scharf darauf bist zu reden, aber … ich mache mir wirklich Sorgen um dich.?

Ruby zieht ihre Decke hoch bis ans Kinn, sodass nur noch ihr Kopf herausguckt. Ihr Blick ist trüb und traurig, als würde sie das, was geschehen ist, in diesem Moment mit voller Wucht einholen. Doch dann blinzelt sie und ist wieder da – oder tut zumindest so. Seit letztem Mittwoch ist da ein sonderbarer Ausdruck in ihren Augen. Es kommt mir vor, als w?re sie nur k?rperlich anwesend, geistig aber ganz woanders.

?Ich bin blo? erk?ltet. Das wird bald wieder?, sagt sie tonlos und klingt dabei beinahe wie eine von diesen toten Computerstimmen, die man von Ansagen für Warteschleifen und Hotlines kennt, so als w?re sie durch einen Roboter ersetzt worden.

Ruby dreht sich mit dem Gesicht zur Wand und zieht die Decke noch weiter hoch – ein eindeutiger Hinweis, dass das Gespr?ch für sie beendet ist. Ich seufze und will gerade wieder aufstehen, da erregt ihr leuchtendes Handy auf dem Nachttisch meine Aufmerksamkeit. Ich lehne mich ein Stück nach vorn, um das Display sehen zu k?nnen.

?Lin ruft dich an?, murmle ich.

?Mir egal?, kommt es ged?mpft zurück.

Stirnrunzelnd sehe ich dabei zu, wie der Anruf abbricht und kurz darauf die Zahl der verpassten Anrufe auf der Anzeige erscheint. Sie ist im zweistelligen Bereich. ?Sie hat dich schon mehr als zehnmal angerufen, Ruby. Was auch immer passiert ist, du wirst dich nicht für immer verstecken k?nnen.?

Meine Schwester brummt blo?.

Mum hat gesagt, ich soll ihr Zeit geben, aber es f?llt mir mit jedem Tag schwerer, Ruby dabei zuzusehen, wie sie leidet. Man muss kein Genie sein, um eins und eins zusammenzuz?hlen und zu dem Schluss zu kommen, dass wahrscheinlich James Beaufort und seine bescheuerten Freunde bei der ganzen Sache ihre Finger im Spiel haben.

Allerdings dachte ich, dass Ruby das Thema Beaufort l?ngst abgehakt h?tte. Was ist also passiert? Und wann?

Ich habe versucht, die Situation so zu analysieren, wie Ruby es an meiner Stelle tun würde, und habe in Gedanken eine Liste angefertigt:

1. Ruby war in Oxford bei den Bewerberinterviews.

2. Als sie zurückgekommen ist, war noch alles in bester Ordnung.

3. Am Abend ist Lydia Beaufort vor unserer Tür aufgetaucht, und Ruby ist mit ihr verschwunden.

4. Danach war alles anders: Ruby hat sich verkrochen und seitdem kaum ein Wort gesprochen.

5. Warum???

Okay. Wahrscheinlich w?re Rubys Liste um einiges strukturierter, aber immerhin habe ich die Dinge in eine logische Reihenfolge gebracht und wei?: Was auch immer es war, es muss am Mittwochabend vorgefallen sein.

Aber wo ist Lydia mit ihr hingefahren?

Mona Kasten's books